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Beim Krebs hört eine Körperzelle auf, nach den Regeln des Zellzyklus zu spielen, und teilt sich unkontrolliert. Der Grund dafür sind Mutationen, die häufig zu Fehlern in den Kontrollmechanismen für die Zellteilung führen. Die mutationsspezifische T-Zelltherapie, an der mehrere Wissenschaftler-Teams des MDC und der Charité forschen, nimmt diese Fehler im Genom ins Visier, um Tumoren zu bekämpfen. Welche Mutationen für eine Therapie geeignet sind und weshalb Zellkulturversuche manchmal nicht weiterhelfen, erklären die Wissenschaftler nun in einer Publikation im Journal of Clinical Investigation.

Die exakt auf eine erkrankte Person zugeschnittene personalisierte Krebsmedizin ist noch ein Zukunftsthema. Allerdings ein nicht allzu fernes, denn immer leistungsfähigere Technologien bringen uns diesem Ziel kontinuierlich näher.

Die Sequenzierung eines Tumorgenoms kostet heutzutage weniger als tausend Euro. Solche vergleichsweise günstigen und dazu schnellen Sequenzierungsverfahren sind eine zentrale Voraussetzung für die mutationsspezifische Krebstherapie mit genetisch veränderten T-Zellen – ein Thema, an dem die MDC-Teams um Thomas Blankenstein und Wolfgang Uckert arbeiten und dafür vom Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) im Programm „Targeting somatic mutations in human cancer by T cell receptor gene therapy“ gefördert werden. In einer Publikation im Journal of Clinical Investigation erklären die Berliner Forscher nun, wie man Mutationen darauf prüfen kann, ob sie sich als Ansatzpunkt für eine Therapie eignen.

Das Immunsystem verfügt über Mechanismen, um Mutationen zu erkennen

Krebstherapien auf Mutationen auszurichten, ist eine vielversprechende Idee: „Jeder Krebs entsteht durch die Mutation von Genen, und daher trägt auch jeder Tumor mutierte Proteine in sich“, erklärt Matthias Leisegang, Erstautor der Publikation. Das Immunsystem kann manche dieser Mutationen an Änderungen auf der Oberfläche der Krebszellen erkennen: Bruchstücke zelleigener Proteine werden als „Antigene“ in sogenannte HLA-Molekülkomplexe eingebettet, die wiederum auf der Zelloberfläche präsentiert werden. Welche Antigene präsentiert werden, hängt unter anderem von der persönlich individuellen Ausstattung mit HLA-Proteinen ab, von denen in der Bevölkerung viele verschiedene Varianten existieren.

Das Immunsystem mobilisiert nun T-Zellen, die mit ihren T-Zell-Rezeptoren (TCRs, engl. T cell receptors) an diese fremden Antigene (sogenannte Neoantigene) binden können. „Dass T-Zellen Neoantigene erkennen können, ist erstmals im Jahr 1995 beschrieben worden“, sagt Leisegang.

T-Zellen können grundsätzlich Krebszellen töten, die Neoantigene tragen. Die Entwicklung eines Tumors halten sie aber offensichtlich nicht auf. Im Tumorgewebe finden sich zwar T-Zellen mit TCRs, die die tumorspezifischen Antigene erkennen, sie sind aber dauerhaft gehemmt und tolerieren die mutierten Zellen, anstatt sie zu zerstören.

Bei der TCR-Gentherapie verpflanzt man daher einen mutationsspezifischen TCR in frische T-Zellen, die man aus Patientenblut gewinnt. Die auf diese Weise genetisch veränderten T-Zellen sind funktionell nicht eingeschränkt und können dann, zurück im Körper der erkrankten Person, den Krebs bekämpfen.

Das Neoantigen als Zielstruktur der Therapie muss sorgfältig ausgewählt werden

Für diesen Therapieansatz muss ein Neoantigen gefunden werden, das auch an der Oberfläche der Zelle präsentiert wird. Außerdem benötigt man einen TCR, der das Antigen erkennt und die modifizierte T-Zelle ausreichend aktiviert. In der Studie im Journal of Clinical Investigation vergleichen die Autoren verschiedene Mutationen im CDK4-Protein, einem Enzym, das die Zellteilung reguliert.

„Dieses Zellzyklus-Protein ist wiederholt mutiert in Krebszellen gefunden worden“, erklärt Thomas Blankenstein. Die untersuchten Mutationen wurden in menschlichem Hautkrebs gefunden und sind dafür bekannt, die Krebserkrankung voranzutreiben. „Es ist nur ein Baustein des Enzyms verändert: das Arginin an Position 24 ist gegen eine andere Aminosäure ausgetauscht, zum Beispiel Cystein oder auch Leucin“, sagt Blankenstein. Das Forscherteam erzeugte zwei Linien von Krebszellen, deren CDK4-Proteine jeweils ein Cystein bzw. ein Leucin an der Position 24 tragen. Beide Zelllinien präsentierten Protein-Fragmente mit den Mutationen als Antigen an der Zelloberfläche. In der Zellkultur wurden beide Mutationen durch einen TCR ähnlich gut erkannt und stimulierten zuverlässig das „Killerprogramm“ der genetisch modifizierten T-Zellen. Aber wie die folgenden tierexperimentellen Untersuchungen zeigten, ersetzt der Zellkulturversuch keinen Organismus mit einem vollständigen Immunsystem.

„Wir haben daher ein neues humanisiertes Mausmodell entwickelt, um humane T-Zellrezeptoren und humane Antigene testen zu können“, sagt Wolfgang Uckert. In diesem Modell stammen alle zellulären Komponenten (T-Zellen, Tumoren) aus der Maus, während sich die Moleküle, die an der Antigenerkennung beteiligt sind (TCR, HLA-Proteine), vom Menschen ableiten.

Die Forscher testeten die beiden CDK4-Neoantigene, indem sie Tumoren in den Modelltieren behandelten, die je eines der beiden Antigene präsentierten. Dafür injizierten die Wissenschaftler den Mäusen die T-Zellen mit dem reaktiven TCR. Das Antigen mit Leucin-Mutation erschien als ein gutes Ziel, denn die Tumoren mit Leucin-Mutation konnten in der Maus zerstört werden. Das Antigen mit Cystein wurde dagegen in der Maus nicht erkannt, und die Tumoren wuchsen weiter.

Mithilfe des Tiermodells konnten die Wissenschaftler also klar zwischen „geeignetem“ und „ungeeignetem“ Neoantigen unterscheiden – und zwar in einem System, das einem erkrankten menschlichen Körper ähnelt. Das war durch die in vitro Zellversuche nicht möglich. Diese spiegeln die komplexen Bedingungen im Gesamtorganismus, dem Tumor-tragenden Wirt, nur unzureichend wider.

Eine Neoantigen-spezifische TCR-Gentherapie ist ein erreichbares Ziel

Das Tiermodell ist geeignet, Antigene und TCRs vor der klinischen Anwendung im Menschen auf ihre Therapie-Tauglichkeit zu testen. Die Forscher arbeiten nun daran, das Tiermodell flexibler zu gestalten, denn derzeit besitzt es nur ein einziges HLA-Protein. Im Menschen existieren jedoch tausende unterschiedliche Varianten.

Eine weitere Hürde auf dem Weg in die Klinik: Während des Tumorwachstums entstehen manche Mutationen früh, andere spät in der Krebsentwicklung. Manche Mutationen kommen daher nicht in allen Krebszellen vor. Ein Antigen, das als Therapieziel geeignet ist, muss aber auf allen Tumorzellen, auch in den Metastasen, zu finden sein. Daher müssen unterschiedliche Stellen des Tumors sequenziert werden. Dabei fallen große Datenmengen an, die aufwändig bioinformatisch verarbeitet werden müssen. Dass sich dieses Problem jedoch prinzipiell bewältigen lässt, zeigten die Berliner Forscher in einer Publikation, für die sie mit dem Team von US-Forscher Hans Schreiber an der Universität in Chicago kooperierten.

Die Forscher stießen in ihren Arbeiten auf ein weiteres Problem, das auch bei Krebskranken auftreten kann. Manche Tumorzellen in den Mäusen präsentierten nicht genügend der mutierten Antigene. Reste des Tumors entgingen so dem Killerkommando der T-Zellen und es kam zum Rezidiv – der Tumor wuchs wieder. In der Arbeit mit dem Team aus Chicago verbesserte eine begleitende Strahlentherapie die Heilungschancen deutlich. Durch die lokale Bestrahlung sterben Tumorzellen ab, was zu einer Freisetzung des Neoantigens führt und die T-Zellen stärker aktiviert.

Im Experiment wiesen die Forscher nach, dass wirklich die Menge des präsentierten Antigens entscheidend ist. Matthias Leisegang sagt: „Nachdem wir die Krebszellen so programmierten, dass sie ausreichende Mengen des mutierten Antigens präsentieren, waren die therapeutischen T-Zellen dauerhaft effektiv“.

Wann können wir mit einer klinischen Anwendung rechnen?

Das Ziel des BIH-Projekts ist, die mutationsspezifische Therapie in die klinische Anwendung zu bringen. Schon heute gilt der Therapieansatz für revolutionär und äußerst vielversprechend. Es ist allerdings abzusehen, dass es immer vom Einzelfall abhängen wird, ob sich eine konkrete Krebserkrankung damit erfolgreich kurieren lässt. Auch müssen die Systeme zur Tumor-Analyse, Antigen- und TCR-Wahl noch verbessert und verfeinert werden. Es sind zudem eine Vielzahl an regulatorischen Auflagen zu erfüllen, um die Therapie klinisch umsetzen zu können.

Anderswo werden andere Varianten der T-Zelltherapie bereits klinisch erprobt. T-Zellen können auch auf körpereigene, also nicht-mutierte, aber tumorcharakteristische Antigene ausgerichtet werden. Bei einer bestimmten Form des Blutkrebses kann diese Therapie sehr erfolgreich sein. Allerdings sind solche Antigene selten und es besteht die Gefahr, dass T-Zellen gesundes Gewebe angreifen und schwere Nebenwirkungen auftreten.

Im direkten Vergleich dieser beiden T-Zelltherapien liegt der Vorteil der mutationsspezifischen Methode der Berliner Forscher auf der Hand: Da die therapeutischen T-Zellen auf eine individuell ausgewählte Mutation ausgerichtet werden, die nur auf dem Tumor vorkommt, können keine Nebenwirkungen durch Zerstörung gesunder Zellen auftreten. Man erkauft sich diese Sicherheit mit einem höheren technischen Aufwand, der aber mit immer effizienter werdenden Verfahren immer weniger ins Gewicht fallen wird.

Der Ausspruch vieler Ärzte „Keine Wirkung ohne Nebenwirkung“ wird bei der Krebsbehandlung eines Tages der Vergangenheit angehören. „Die Fortschritte der letzten Jahre sind beeindruckend. In nicht allzu ferner Zukunft könnten Krebskranke mit personalisierter und hochspezifischer T-Zelltherapie behandelt werden“, meint Matthias Leisegang. Text: Martin Ballaschk, MDC.

Literatur

Matthias Leisegang1,2, Thomas Kammertoens2, Wolfgang Uckert1,3 und Thomas Blankenstein2,4 (2016): „Targeting human melanoma neoantigens by T cell receptor gene therapy.“ Journal of Clinical Investigation. doi:10.1172/JCI83465.

1Molekulare Zellbiologie und Gentherapie, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin; 2Institut für Immunologie, Charité, Berlin; 3Institut für Biologie, Humboldt-Universität Berlin, 4Molekulare Immunologie und Gentherapie, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin. Wolfgang Uckert und Thomas Blankenstein waren in gleichem Maße an der Arbeit beteiligt.