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Wer als Patient*in an einer klinischen Studie teilnimmt, kann nicht immer davon ausgehen, selbst von den Ergebnissen zu profitieren. Vielmehr geht es bei Studien auch oft um den Gewinn von neuen Erkenntnissen, die zukünftigen Patient*innen zugutekommen werden. Um dies zu gewährleisten ist es jedoch notwendig, die Ergebnisse der Studie vollständig und möglichst zeitnah zu veröffentlichen. Nur so können die gewonnenen Erkenntnisse für die Patientenversorgung und die Entwicklung innovativer Therapien genutzt werden.

Die Wissenschaftler*innen vom Berliner Institut für Gesundheitsforschung und ihre Kolleg*innen aus Hannover und Freiburg identifizierten über ein öffentliches Register 2.000 klinische Studien, die in den Jahren 2009 bis 2013 abgeschlossen wurden. Bei 1.200 davon handelte es sich um so genannte „Investigator Initiated Trials“, bei denen die Wissenschaftler*innen selbst und nicht etwa ein Arzneimittelhersteller die Hauptverantwortung für die Publikation der Ergebnisse tragen.  „Von diesen 1.200 Studien waren nur 39 Prozent, also weit weniger als die Hälfte, innerhalb von zwei Jahren nach Studienabschluss veröffentlicht“, sagt Daniel Strech, Leiter der Arbeitsgruppe Translationale Bioethik am BIH QUEST Center for Transforming Biomedical Research und verantwortlicher Leiter der Untersuchung. Der Zweijahres-Zeitraum entspricht der Definition für „Zeitnahe Veröffentlichung“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Über alle 36 untersuchten deutschen medizinischen Fakultäten hinweg variierte diese Kennzahl von 20 bis 64 Prozent. „Innerhalb von fünf Jahren nach Studienende sind natürlich mehr Studienergebnisse veröffentlicht, im Schnitt 67 Prozent mit einer Spannbreite von 43 bis 90 Prozent“, ergänzt Strech. Seine Kollegin Dr. Susanne Wieschowski von der Medizinischen Hochschule Hannover, die einen Großteil der Recherchearbeiten übernommen hat, erklärt die Diskrepanz: „Eine Ergebnispublikation in begutachteten Fachzeitschriften kann mitunter viele Monate dauern, und nicht selten muss man es bei verschiedenen Zeitschriften versuchen. Eine Publikation als Fachartikel fünf Jahre nach Studienabschluss ist immer noch wertvoll und als Leistung anzuerkennen, aber es sollte nicht die Regel sein.“

„Bisherige Kennzahlen zur Messung von Qualität und Exzellenz medizinischer Fakultäten orientieren sich vorrangig an der Höhe eingeworbener Forschungsgelder, an der Anzahl durchgeführter Studien oder an den sogenannten Impact-Faktoren von Fachpublikationen“, sagt Prof. Ulrich Dirnagl, ebenfalls Projektmitglied und Gründungsdirektor des QUEST Center am Berliner Institut für Gesundheitsforschung. Prof. Dirnagl ergänzt: „Wir benötigen alternative, komplementäre Kennzahlen, die besser abbilden, welchen „Wert“ die medizinische Forschung für die Gesellschaft und Wissenschaft hat“. Mit der neu vorliegenden Webseite können interessierte Personen erstmals die Kennzahlen zu „Zeitnaher Veröffentlichung“ für alle deutschen Fakultäten einsehen. „Jeder Besucher der Webseite kann nach eigenem Interesse die Parameter für die Kennzahlen zu zeitnaher Veröffentlichung verändern“, erklärt Dr. Nico Riedel, Data Scientist am QUEST Center, der die Webseite erstellt hat. „Die Zuständigen für das Forschungsmanagement an den jeweiligen medizinischen Fakultäten können diese Informationen verwenden, um ihre bisherigen Strategien zur Förderung zeitnaher Ergebnisveröffentlichung zu evaluieren und bei Bedarf zu optimieren“, erläutert Daniel Strech.

„Gerade weil die Ergebnispublikation in Fachzeitschriften lange dauern kann, zugleich aber die zeitnahe Veröffentlichung für die Patientenversorgung und Forschung so zentral ist, wäre es wichtig, dass abgeschlossene Studien ihre Ergebnisse auch als sogenannte Summary Reports dort bereitstellen, wo ihre Studie öffentlich einsehbar registriert ist“, ergänzt Jörg Meerpohl, Kooperationspartner im Projekt und Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg. Die WHO, aber auch die europäische Gesetzgebung für klinische Forschung fordern eine Veröffentlichung dieser Summary Reports innerhalb von zwölf Monaten nach Studienende. Hier zeigt die IntoValue Webseite einen dringenden Verbesserungsbedarf für alle medizinischen Fakultäten in Deutschland. Im Schnitt erreichen nur zwei Prozent aller Studien unter akademischer Leitung diese Kennzahl. „Die forschenden Arzneimittelhersteller wie auch einige britische Universitäten schneiden bei dieser Kennzahl deutlich besser ab. Das zeigt ebenfalls der jüngst publizierte EU-TrialsTracker“, kommentiert Prof. Ulrich Dirnagl.

„Unsere Webseite zeigt aber auch die vielversprechende Tendenz, dass die Kennzahlen für zeitnahe Veröffentlichung von Jahr zu Jahr besser werden“, sagt Daniel Strech. „Die Webseite kommt deshalb zum richtigen Zeitpunkt. An vielen medizinischen Fakultäten ist der Bedarf zur Optimierung der Werthaltigkeit ihrer Forschung erkannt. Auch der Medizinische Fakultätentag unterstützt uns als wichtiger Diskussionspartner bei der Weiterentwicklung von Strategien zur Förderung verantwortungsvoller Forschung.“

Prof. Axel Radlach Pries, Vorstandsvorsitzender (ad interim) des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIH) und Dekan der medizinischen Fakultät der Charité – Universitätsmedizin Berlin, begrüßt das Webseitenprojekt: „Die darin enthaltenen Informationen werden uns helfen, die zeitnahe Veröffentlichung von Studien verstärkt zu fördern. Wir sind derzeit dabei, ein Studienregister aufzusetzen, in dem alle klinischen Studien der Charité eingetragen werden sollen. Hierbei wird es in Zusammenarbeit mit dem QUEST Center (BIH) möglich sein zu prüfen, welche klinischen Studien in öffentlichen Registern registriert wurden und welche Studien nach einer bestimmten Zeit Resultate publiziert haben.“

Die Webseite ist abrufbar unter http://s-quest.bihealth.org/intovalue/. Weitere Informationen sind in einem Vorabdruck/Preprint eines Fachartikels veröffentlicht bei https://www.biorxiv.org/content/early/2018/11/18/467746 und im Open Science Framework unter https://osf.io/fh426/. Informationen zum EU-TrialsTracker finden sich unter https://eu.trialstracker.net/.

Im Mai 2019 startet ein neues BMBF gefördertes Projekt am QUEST Center, welches neben einem Update für die hier behandelten Kennzahlen zu zeitnaher Veröffentlichung auch Kennzahlen zu anderen Themen der medizinischen Forschung wie prospektive Registrierung von Studienprotokollen und Open Science erarbeiten wird.

Kontakt

Dr. Stefanie Seltmann
Leiterin Kommunikation & Marketing
s.seltmann@bihealth.de