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Prof. Dr. Ulrich Dirnagl, Schlaganfallforscher an der Charité, ist im Februar 2016 mit dem renommierten Thomas Willis Lecture Award der American Heart Association ausgezeichnet worden. Dirnagl, Mitglied der BIH-Faculty, zu der alle HochschullehrerInnen der Charité - Universitätsmedizin Berlin und leitende WissenschaftlerInnen des MDC gehören, setzt sich vor allem dafür ein, die Qualität in der präklinischen Forschung zu verbessern. Vier Fragen an den Preisträger.

Prof. Dirnagl, Sie haben den diesjährigen Thomas Willis Lecture Award erhalten. Was bedeutet diese Auszeichnung für Ihre Forschung – und für Sie persönlich?

Der Willis Lecture Award wird nicht für ein bestimmtes Forschungsergebnis vergeben, sondern für den Beitrag des Preisträgers zum Fortschritt des Feldes. Mir fällt jetzt keine angesehenere Auszeichnung in meinem Feld ein. Die Preisträger bilden über die Jahre so eine Art Hall of Fame der Schlaganfallforscher. Das ist schon etwas Tolles, da mit dabei zu sein, es freut mich deshalb natürlich sehr!

Ein besonderes Anliegen ist Ihnen, die Vorhersagekraft der klinischen Grundlagenforschung zu verbessern. Können Sie skizzieren, wo zurzeit die Herausforderungen liegen?

Derzeit ist viel die Rede von der Replication crisis – es stellt sich nämlich heraus, dass viele Befunde aus den Laboren, und häufig gerade die spektakulären, sich nicht wiederholen lassen. Das fiel zunächst der Pharmaindustrie auf, der es häufig nicht gelingt, das „nachzukochen“, was aus der akademischen Biomedizin veröffentlicht wird. Auch können wir viele Krankheiten in unseren Tiermodellen sehr erfolgreich therapieren, aber selten sind diese Therapien auch bei Patientinnen und Patienten erfolgreich – der sogenannte translational roadblock. Mittlerweile werden in verschiedenen Forschungsfeldern großangelegte Replikationsstudien aufgelegt, mit recht ernüchternden Ergebnissen.

Sie sind neben Ihrer wissenschaftlichen Forschung zur Pathophysiologie des Schlaganfalles auch auf dem noch jungen Gebiet der sogenannten Meta-Research aktiv. Worum geht es dabei?

Um die wissenschaftliche, d. h. auch quantitative Untersuchung der Forschungspraxis. Ziel ist, deren Effizienz und Reproduzierbarkeit zu optimieren. Dabei zeigt sich, dass gerade im Grundlagen- und präklinischen Bereich der Biomedizin deutlicher Verbesserungsbedarf besteht, etwa Bias zu vermindern, die statistische Power zu erhöhen, oder auch in der Veröffentlichungspraxis. Gleichzeitig merke ich in meinen Seminaren zu Experimentellem Design, Statistik und Guter Wissenschaftlicher Praxis für Medizin- und PhD-Studierende an der Charité und in verschiedenen internationalen Graduierten-Programmen im Berliner Umfeld, dass wir auch dort in der Methodenkompetenz noch ganz erheblichen Nachholbedarf haben. Durch den Kontakt mit den Studierenden wird klar, dass sie bei ihrer Forschung mehr angeleitet und betreut werden müssen. Und hier liegen die Herausforderungen: Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Forschung belastbarer und prädiktiver wird. Dies gilt insbesondere dort, wo es darum geht, von Laborbefunden ausgehend in klinische Proof of Concept-Studien zu gehen, mit denen die prinzipielle Existenz von Krankheitsmechanismen sowie die Durchführbarkeit neuer Therapien belegt werden.

Am BIH wollen wir auch in der präklinischen Forschung ein hervorragendes Qualitätsmanagement schaffen, um sicherzustellen, dass nicht nur originelle und spektakuläre, sondern auch gleichzeitig reproduzierbarere und robustere Forschungsergebnisse produziert werden können. Mit welchen Maßnahmen kann man hier aus Ihrer Sicht möglichst effektive Verbesserungen erreichen?

Zum Beispiel mit Angeboten für Forschende wie ein elektronisches Laborbuch, indem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Planung und Analyse von experimentellen Studien und der Etablierung von Qualität sichernden Maßnahmen unterstützt werden, oder indem sichergestellt wird, dass Reporting-Guidelines eingehalten werden. Die Förderung der Veröffentlichung auch von 'negativen' Ergebnissen oder ein Fonds für die Replikation besonders wichtiger Ergebnisse könnten dazugehören. Ganz wesentlich werden auch Maßnahmen sein, welche Berufungen, die Förderung und das berufliche Fortkommen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht nur über den Impact Factor ihrer Publikationen steuern. Man könnte auch mit neuen, teils erst zu entwickelnden Indikatoren, welche beispielsweise die Qualität der Resultate und ihre Bedeutung für die klinische Anwendung mit einschließen Anreize zum „qualitätsbewussteren“ Publizieren schaffen. Mir fielen da noch eine Menge weiterer Maßnahmen ein! Wichtig wird dabei aber sein, dass die Implementierung solcher Angebote und Maßnahmen wissenschaftlich begleitet wird, um deren Effektivität zu untersuchen und weitere, verbesserte Ansätze zu entwickeln. Diese könnte man dann quasi als ‚Blaupausen‘ auch anderen Forschungseinrichtungen anbieten. Das BIH könnte vor dem Hintergrund der internationalen Diskussion 'Reduce waste – increase value' eine weltweite Spitzenstellung einnehmen und dabei die Werthaltigkeit der am BIH durchgeführten Forschung optimieren.
Foto: © Ulrich Dirnagl