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In seinem Berliner Vortrag erklärt Medizin-Nobelpreisträger und BIH-Forscher Thomas Südhof, warum Grundlagenforschung aus seiner Sicht unerlässlich ist, um Krankheiten des Gehirns verstehen und heilen zu können – und warum wir über das menschliche Gehirn noch immer fast nichts wissen.

Der Titel von Thomas Südhofs Vortrag lautet "Wie kann Grundlagenforschung helfen, Krankheiten zu heilen?", und er führt ein wenig in die Irre. Denn der in Stanford lehrende Hirnforscher und Nobelpreisträger doziert nicht darüber, wie Grundlagenforschung allgemein zum Wohle der Menschen beitragen kann. Vielmehr ist sein Vortrag ein persönliches Plädoyer dafür, dass die Beschäftigung mit den Grundlagen für die Hirnforschung enorm wichtig ist – und ein Lehrstück darüber, wie wenig wir eigentlich wissen.

Das Gehirn, sagt Südhof, sei der Sitz alles dessen, was uns als Person ausmacht, weswegen es auch im Erkenntnisinteresse des Menschen seit jeher eine besondere Rolle eingenommen hat. Wegen dieser besonderen Bedeutung des Gehirns sei es so wichtig, zu verstehen, wie es funktioniert und was bei Erkrankungen des Gehirns genau passiert. Bislang sei das jedoch nicht gelungen: "Wir verstehen bis heute nicht, wie Hirnkrankheiten entstehen und verlaufen", unterstreicht der Nobelpreisträger.

Dabei hätten diese Krankheiten zwar als Todesursache eine eher untergeordnete Rolle, seien vom gesellschaftlichen Stellenwert her jedoch enorm wichtig: "Neuropsychologische Erkrankungen wie Depression oder Schizophrenie sind eine große Belastung für die Betroffenen und deren Familien", betont Südhof. Neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer treten vor allem im Alter auf und werden an Bedeutung weiter zunehmen, weil wir immer älter werden.

Gehirnkrankheiten: "Es sind immer nur Funktionen betroffen"

1012 Nervenzellen, 1015 Synapsen: Das menschliche Gehirn beherbergt ein unvorstellbar komplexes, hochfunktionales Netzwerk. Jede einzelne Nervenzelle, erklärt Thomas Südhof, hat mindestens tausende, teilweise mehrere hunderttausend Synapsen. An diesen Schaltstellen, mit denen die Nervenzellen untereinander verbunden sind, werden Informationen übertragen und verarbeitet, allerdings nicht linear: "Das Verhältnis zwischen präsynaptischer Erregung und postsynaptischer Antwort ist nicht vorhersagbar", sagt Südhof. Damit ist das fundamentale Prinzip der Informationsverarbeitung nicht verstanden – und ebenso wenig sind es Krankheiten des Gehirns. Sich in der Forschung ausschließlich auf einzelne Krankheiten zu konzentrieren, sei deswegen nicht sinnvoll, stellt der Wissenschaftler in seinem Vortrag klar.

Zu einem besseren Verständnis der neuronalen Prozesse haben die Fortschritte in der Wissenschaft und Medizin in den vergangenen Jahren viel beigetragen, berichtet Thomas Südhof. So zeigt die funktionelle Bildgebung, dass das Gehirn immer und in allen Teilbereichen aktiv ist. Die Informationsverarbeitung verläuft dabei in Schlaufen. "Von Krankheiten sind also nie bestimmte Bereiche des Gehirns betroffen, sondern stets Funktionen", erklärt der Forscher. Profitieren kann die Gehirnforschung von der Humangenetik und deren Möglichkeit, heute ein ganzes Genom zu sehr geringen Kosten sequenzieren zu können. So weiß man inzwischen, dass viele Krankheiten durch genetische Mutationen entstehen. Allerdings: "Für Schizophrenie gibt es nicht ein kausales Schlüsselgen, hunderte Mutationen können zu dieser Krankheit führen", berichtet Südhof.

"Deshalb ist die Identifizierung von Genen erst der Anfang, um in der Hirnforschung zu verstehen, wie sie eine Krankheit auslösen. Auf diesem Weg gibt es keine Abkürzungen", sagt der Wissenschaftler. In der abschließenden Diskussion betont Thomas Südhof deswegen auch, wie wichtig eine flexible Forschungsförderung sei, die den Forschenden auch Zufallsbefunde ermögliche. Man wisse schließlich nicht, was man am nächsten Tag herausfinden werde.

Text: Wiebke Peters