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Ende 2015 begann im deutschen Gesundheitswesen eine neue Zeitrechnung: Das E-Health-Gesetz der Bundesregierung trat in Kraft. Es zielt darauf ab, eine digitale Informations- und Kommunikationsstruktur im Gesundheitssektor einzuführen, um sowohl Wirtschaftlichkeit als auch Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Doch wie und in welchem Umfang werden Daten erhoben?Wer soll sie, wann nutzen können? Und welche Rolle spielen die vier zentralen Interessengruppen in diesem Prozess – also Patienten, Ärzte und Krankenhäuser, Versorgungsdienstleister und die Wirtschaft? Diese Fragen sind noch weitgehend ungeklärt und standen im Zentrum des TAGESSPIEGEL eHEALTH FORUMs, das als neue Informations- und Netzwerkplattform für die Gesundheitsbranche dienen soll. Am 15. Februar 2017 fand das Forum unter dem Titel "Von Vordenkern, Schrittmachern und Gestaltern" statt. BIH-Vorstandsvorsitzender Erwin Böttinger verdeutlichte in seinem Einführungsvortrag sehr klar: Digitalisierung ist viel mehr als die Möglichkeit, Patientendaten austauschen und verketten zu können. „Wir brauchen intelligente eHealth-Systeme zur Verbesserung der Patientenversorgung, um etwa Medikamente zielgerichteter einzusetzen“, sagte Böttinger. Solche Systeme sparten auch Kosten, zum Beispiel wenn das behandelnde medizinische Personal von vorneherein sieht, dass ein Patient auf ein bestimmtes Medikament nicht anspricht und dieses dann auch nicht verschreibt. „Um die Möglichkeiten von eHealth vollständig nutzen zu können, müssen allerdings noch zahlreiche Widerstände überwunden werden.“ Eine Herausforderung sei weiterhin das Thema Datenschutz. Patientendaten müssten umfassend erhoben und „zur rechten Zeit am rechten Ort“ abgerufen werden können und auch für die Forschung zur Verfügung stehen, sagte der Mediziner. Er plädierte deswegen für einen „nutzeradaptierten Datenschutz“, bei dem die Person selbst entscheidet, wann welche Daten freigegeben werden. Böttinger gehört selbst einer Arbeitsgruppe der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina an, die bis Herbst dieses Jahres eine Stellungnahme zum Thema eHealth entwickeln wird. Bessere Daten zentral für maßgeschneiderte Medizin Im Anschluss an den Vortrag des BIH-Vorstandsvorsitzenden diskutierten Vertreter aus Gesundheitswirtschaft und -versorgung Chancen und Herausforderungen von eHealth. Peter Albiez, Vorsitzender der Geschäftsführung der Pfizer Deutschland GmbH; sagte, wie wichtig Innovationen seien, um neue, maßgeschneiderte Medikamente zu entwickeln – bessere Patientendaten seien hierfür zukünftig zentral. Bart de Witte, Director Digital Health von IBM Deutschland, berichtete, wie miserabel teilweise die IT-Infrastruktur in Krankenhäusern sei. Unter anderem weil der Wille fehle, hier zu investieren. Den Datenaustausch zwischen Krankenhaus und Arzt erprobt die AOK Nordost in einem Projekt, das die Krankenkasse gemeinsam mit den Sana-Kliniken durchführt. Ambulante und stationäre Partner haben so die Möglichkeit, Daten auszutauschen – aber nur, wenn der Patient seine Einwilligung gibt. Zudem überlege die Kasse, neben der solidarischen Krankenversicherung neue Modelle einzuführen, die auf individuelle Patientendaten abzielen, sagte AOK Nordost-Vorstandsvorsitzender Frank Michalak. Tobias Gantner Geschäftsführer vom Think-Tank HealthCare Futurists sagte, wie wichtig es sei, dass der Patient seinen „Datenschatz“ erklärt bekomme. Hier seien die Ärzte gefragt, die sich umfassend auf das Thema eHealth einstellen müssten, zum Beispiel durch Fortbildungen mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. Einig waren sich alle Diskutanten, dass Digitalisierung das Verhältnis von Arzt und Patient und das gesamte Gesundheitssystem in Deutschland revolutionieren wird. Entscheidend sei, das Thema eHealth künftig mit einer anderen Botschaft zu verbinden, betonte Erwin Böttinger zum Ende der Runde: „Datensicherheit können wir nicht garantieren – ein Restrisiko bleibt immer. Dafür gewinnen wir einen immensen Nutzen, der oft konkret und direkt sein wird.“
Foto: Verlag der Tagesspiegel / Kerstin Müller Text: Wiebke Peters