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Eva

Wir befinden uns in der Mittagspause des dritten GeneNovate-Workshops. Ich erkläre kurz, worum es geht: Das Netzwerkbüro GCT baut im Bereich der Gen- und Zelltherapien ein nationales Technologietransferprogramm auf. Das heißt, wir wollen Forschende und Kliniker*innen dabei unterstützen, ihre Ideen und Innovationen in tatsächliche Medizinprodukte und anwendbare Therapien umzuwandeln. Der Weg dahin ist, insbesondere in Deutschland, steinig und kompliziert. Es gibt viele Hürden und leider werden die Grundlagen zu Patentierung, Lizenzierung und Ausgründung, also die Gründung von Start-ups, nicht an den Universitäten vermittelt. Es ist kein Teil der wissenschaftlichen Ausbildung. Und das ist ein echtes Problem, da so die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung nur selten in der Patient*innenversorgung ankommen. Aus diesem Grund haben wir gemeinsam mit unseren Partner*innen in München und Mainz den GeneNovate-Workshop konzipiert und planen, ihn im nächsten Jahr auch an anderen Standorten in Deutschland anbieten zu können.

Aber jetzt zu Euch. Ihr seid beide Teilnehmende unseres GeneNovate-Pilotworkshops in Berlin und ich möchte Euch heute zu Euren bisherigen Erfahrungen befragen. Lucie, du bist Ärztin und hast Dich zunächst zu hundert Prozent auf die Forschung konzentriert. Du bist also Vollzeitwissenschaftlerin, denn wenn man einmal begonnen hat als Ärztin zu praktizieren ist der Weg zurück in die Forschung oft schwer. Niels, du bist gerade beides. Zum einen arbeitest du als Assistenzarzt in der Neurologie, bist aber auch klinischer Forschender am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Lassen sich diese beiden Rollen gut miteinander vereinen?


Niels

Ich würde es jedem empfehlen, weil es total spannend ist, die Ideen in der Klinik zu generieren und sie in der Forschung umzusetzen und diese Ergebnisse wiederum in die Klinik zu bringen. Es ist ein Wechselspiel, welches sehr fruchtvoll und spannend ist.


Eva

Ihr arbeitet beide in der Arbeitsgruppe von Prof. Harald Prüß. Lucie, könntest Du uns erklären, woran Ihr gerade forscht?


Lucie

Wir arbeiten an einer neuen Zelltherapie für neurologische Autoimmunerkrankungen (Zur Pressemitteilung). In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass neurologische Erkrankungen und Antikörper miteinander zusammenhängen und zwar in einem sehr engen Verhältnis. Sogenannte Autoantikörper arbeiten gegen den eigenen Körper und können für die Entstehung von neurologischen Erkrankungen zuständig sein. Da wollen wir ansetzen und zwar an den sogenannten B-Zellen, die diese krankhaften Autoantikörper herstellen. Teil des menschlichen Immunsystems sind auch T-Zellen, die teilweise darauf programmiert sind schädliche oder kranke Zellen im Körper zu töten. Wir wollen nun mit einer T-Zell-basierten Therapie versuchen, die schädlichen B-Zellen aus dem Körper zu entfernen. Wir arbeiten daran, die Genetik und damit die Struktur der T-Zellen so zu verändern, dass sie die „schlechten“ B-Zellen gezielt aus dem Körper entfernen können. Es liegt uns am Herzen, dass so ein präklinisches Forschungsprojekt am Ende des Tages wirklich als Therapie in der Patient*innenversorgung ankommt. Deswegen sind wir hier bei GeneNovate genau richtig.


Eva 

Das klingt großartig! Euer Projekt ist schon recht weit fortgeschritten. Der Name ist Teneura. Niels, an welchem Punkt steht ihr gerade?


Niels

Wir haben diverse Kandidaten für verschiedene neurologische Erkrankungen in der Entwicklung. Unser Lead Kandidat, also derjenige, der am weitesten fortgeschritten ist, soll gegen die Erkrankung Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis eingesetzt werden. Das ist eine seltene Form der autoimmunen Gehirnentzündung. Hierzu konnten wir letztes Jahr erfolgreich publizieren (Zur Publikation). Die Funktionalität in Mausexperimenten und anderen Untersuchungen war sehr vielversprechend!
Wir sind nun in der glücklichen Situation, eine klinische Studie vorbereiten zu können. Eine sogenannte first in human-Studie, in der das Therapeutikum zum ersten Mal im Menschen getestet werden soll. Damit sind natürlich viele Hürden verbunden. Zum einen im Bereich der Regulatorik, aber auch die Finanzierung ist eine Herausforderung. Eine klinische Studie kostet viel Geld. Auch die Herstellung der Zellen kostet viel Geld und das ist in der Regel nicht mit öffentlichen Geldern zu machen. Darum haben wir uns dazu entschlossen die klinische Entwicklung in einer Ausgründung durchzuführen. Aktuell treten wir mit verschiedenen Herstellern für die Produktion in Kontakt. Wir holen uns Angebote ein, um zu wissen, wie hoch die Kosten wirklich sind.


Eva

Also Angebote von kommerziellen Herstellern?


Niels

Genau. Man nennt sie im Fachbereich Contract Development and Manufacturing Organizations (CDMO‘s). Diese Unternehmen stellen Produkte auftragsweise her. Sie arbeiten für Start-ups, aber auch für größere Pharmaunternehmen, für die die Herstellung dieser Zellprodukte zu komplex ist. Parallel dazu sind wir im Gespräch mit dem Paul-Ehrlich-Institut. Das ist die relevante regulatorische Behörde in Deutschland, die für die Zulassung bzw. für die Durchführung von klinischen Studien von Zelltherapien und später auch für die Zulassung des Medizinprodukts verantwortlich ist. In wenigen Wochen haben wir das erste Gespräch, um gemeinsam mit dem Paul-Ehrlich-Institut sowohl den Herstellungsprozess, als auch das Design der klinischen Studie zu besprechen, also wie die klinische Studie genau durchgeführt wird. Ein weiteres Element ist das Fundraising. Um eben diese klinische Studie durchführen zu können, brauchen wir eine ein- bis zweistellige Millionensumme und sind daher gerade im Gespräch mit Investor*innen und Risikokapitalgebern. Das ist der aktuelle Stand.


Eva

Das klingt sehr spannend. Ich drücke auf jeden Fall die Daumen für die nächsten Schritte. Lucie, was habt Ihr Euch von der Teilnahme am GeneNovate-Workshop versprochen?


Lucie

Ich habe eingangs schon erwähnt, dass wir als Arbeitsgruppe vor allem in der präklinischen Entwicklung tätig sind. Ich hab im Zuge dieses Projektes gelernt, dass man nicht drumherum kommt, den Weg der Translation zu gehen. Wenn man sehen möchte, dass die Konzepte, die man entwickelt hat, auch irgendwann von bench to bedside wandern sollen. Da hat uns GeneNovate direkt angesprochen. Wir haben einen direkten Leitfaden bekommen wie wir von unserer präklinischen Idee bis zu der Entwicklung eines Geschäftsmodells kommen. Woher wissen wir, wie viel unser Produkt wert ist und vor allem: Welche Punkte kann man schon im Stadium der beginnenden Forschung beachten? Es gibt, wie wir hier gelernt haben, sehr wichtige Konzepte: Wie funktionieren Patente und Lizenzen? Man muss unbedingt wissen wie man seine Ideen im Vorhinein ausreichend schützt, sodass der Weg in die Wirtschaft überhaupt möglich ist. Wie du eingangs schon gesagt hast, fehlt das komplett in der medizinischen Ausbildung, man wird nicht für diese Themen sensibilisiert. Forschende sind natürlich darauf fokussiert die eigentliche Forschung zu entwickeln. Es fehlen Kapazitäten, um sich zusätzlich darüber zu informieren. Aber Punkte die anfangs nebensächlich klingen, werden am Ende relevant. Insgesamt haben wir uns von GeneNovate versprochen, dass wir auf dem Weg der Translation begleitet werden. Dass wir Konzepte an die Hand bekommen und auch praktische Hinweise zur Durchführung.


Eva 

Wurden Eure Erwartungen denn bisher erfüllt? Und was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die ihr bisher gewonnen habt?


Niels

Meine Erwartungen wurden dahingehend erfüllt, dass die relevanten Themen vermittelt wurden. Lucie erwähnte eben schon den großen Bereich IP (Intellectual Property), ein anderer ist die Value Proposition, also wo liegt der [finanzielle] Wert des Produkts und wie kann man diesen Wert gegenüber Investor*innen kommunizieren, um an entsprechendes Funding zu kommen. Es stehen noch drei Workshops aus. Ich bin sehr gespannt, was noch auf uns zukommt. Nächstes Mal wird das komplexe Thema Regulatorik als Schwerpunkt vorkommen. Die regulatorischen Hürden im Bereich Zelltherapie sind zu Recht extrem hoch. Man möchte sicherstellen, dass das Zellprodukt, welches den Patient*innen gegeben wird, am Ende sicher ist. Im Gegensatz zu small molecules, also typischen Medikamenten wie Aspirin oder Ibuprofen, werden Zelltherapien nicht einfach ausgeschieden sondern bleiben im Körper. Hier muss man natürlich sichergehen, dass diese Zelltherapien am Ende nicht mehr Schaden bringen, als sie helfen. Es ist sehr wichtig bestimmte regulatorischen Elemente von Anfang an in der präklinischen Entwicklung zu berücksichtigen, um dann nicht Dinge mehrfach oder falsch zu machen. Das kann ich nur unterstreichen. So etwas lernt man weder im Medizinstudium noch im Rahmen der Krankenhaustätigkeit. Man muss sich entweder selbst einarbeiten oder hat das Glück an einem Workshop teilnehmen zu können, der dich ein wenig an die Hand nimmt.

Eva 

Alles, was wir im Netzwerkbüro GCT und in der Nationalen Strategie für Gen- und Zelltherapien tun, dient der sogenannten medizinischen Translation. Der Begriff ist bereits gefallen. Auch das Berlin Institute of Health, welches ein Teil der Charité ist, ist explizit ein Institut für Translationsforschung. Was bedeutet der Begriff für Euch? 


Lucie

Der Begriff sagt es im Prinzip schon und ich glaube, es wird auch so definiert, wie du es am Anfang erklärt hast. Die Idee der Translation ist es, Forschungsideen in Therapien umzusetzen. Für mich hat die Translation im Zuge des Workshops noch eine weitere Bedeutung gewonnen und zwar ist es für mich eine Herausforderung. Um diesen Weg zu ermöglichen, gibt es unglaublich viele Schritte und Gedankenprozesse, die investiert werden müssen, um den Transfer umzusetzen. Ich glaube, dass es genau solche Angebote wie GeneNovate braucht. Du hattest gerade gefragt, ob die Erwartung an den Workshop erfüllt wurden: Ich kann zu diesem Zeitpunkt auch sagen, dass ich den Workshop wahnsinnig fokussiert finde und schön kompakt. Wir haben sechs feste Termine im monatlichen Abstand. Das ist eine gute Zeit, um die neuen Informationen zu verdauen, aber auch, um an einem Tag sehr gebündelten Input zu bekommen. Mir gefällt das Format schonmal sehr gut. Die sechs Workshops sind wahrscheinlich auch genau die sechs Schritte, die zur erfolgreichen Translation notwendig sind.


Eva

Niels, was bedeutet der Begriff für dich? Schließt du dich Lucie an?


Niels

Ja, ich schließe mich an, dass es eine große Herausforderung ist. Zudem finde ich, dass das Schöne an unserer Arbeit ist, dass wir Forschung nicht als Selbstzweck verstehen, sondern auch als Vision, eine Verbesserung für den Patienten zu schaffen oder für die Patientin. Am Ende können wir vielleicht Teil einer Veränderung sein und eine Verbesserung für unsere Patient*innen generieren. Das ist natürlich total motivierend und im Gegensatz zu der regulären Krankenhaustätigkeit mit viel mehr Kreativität und dem Gefühl der Einflussnahme verbunden.


Eva

Hier möchte ich gerne noch etwas ergänzen. Meiner Meinung nach sollte der Translationsgedanke in der Wissenschaft eine Selbstverständlichkeit sein. Die Forschung wird immer noch zu großen Teilen aus öffentlichen Geldern, aus Bundesmitteln, aus Steuergeldern finanziert, die wir alle bezahlen. Dementsprechend sollte es völlig normal sein, dass wir dafür Sorge tragen, dass die Innovationen tatsächlich in der Öffentlichkeit ankommen. In der medizinischen Translation geht es natürlich um die Patient*innenversorgung. Aber auch in anderen Bereichen ist das relevant. Das Mitzudenken sollte neuer Standard werden.


Niels

Zudem haben wir in Deutschland, aber auch über die Bundesgrenzen hinaus, das Problem, dass es hier eine Förderlücke gibt. Es wird sehr viel Geld in die Grundlagenforschung investiert, also die ersten Schritte im Prozess. Der Weg von der benchwork zur ersten klinischen Studie ist für private Investor*innen meistens nicht reizvoll genug, weil es mit einem zu großem Risiko verbunden ist. Gleichzeitig sind die Kosten so hoch, dass es in der Regel nicht durch öffentliche Gelder finanzierbar ist. Wir haben eine große Förderlücke, wo verschiedene Förderinstrumente greifen sollten, wie zum Beispiel GoBio als Maßnahme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Das Programm ist aktuell nicht öffentlich ausgeschrieben und grundsätzlich werden auch nur wenige Projekte pro Jahr gefördert. Diese Lücke muss irgendwie geschlossen werden, wenn wir ähnlich produktiv sein wollen, wie zum Beispiel das Forschungssystem in den USA. Hier sind deutlich mehr Ressourcen vorhanden, um translationale Forschung zu betreiben. Um nicht komplett abgehängt zu werden, ist es dringend notwendig, dass wir in Deutschland und auch in der EU neue Lösungen finden.


Eva

Das ist ein wunderbares Schlusswort und gleichzeitig ein call to action. Es bleibt also noch viel Luft nach oben. Aber wir arbeiten daran und die Sensibilität für diese Themen steigt durch gute Kommunikation stetig an. Vielen Dank für Eure Zeit und eure Gedanken.