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Publication

Braun, J., Loyal, L., Frentsch, M. et al. SARS-CoV-2-reactive T cells in healthy donors and patients with COVID-19. Nature 587, 270–274 (2020). doi.org/10.1038/s41586-020-2598-9

[Translate to englisch:] Interview

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Herr Thiel, Herr Braun, bei Ihrer Publikation war lautete die Ausgangsfrage: Warum erkranken COVID-19-Patienten so unterschiedlich schwer? Auf der Suche nach möglichen Antworten haben Sie sich die CD4-positiven T-Zellen, eine bestimmte Sorte von Immunzellen, vorgeknöpft. Warum haben Sie ausgerechnet bei diesen Zellen angefangen zu suchen? Was macht diese Zellen so interessant?

Thiel: Aus Wuhan gab es Berichte, dass vor allen Dingen ältere Leute sehr schwer erkranken können. Und wir beschäftigen uns seit Jahren mit Immunität und Altern. Und wir sind seit 20 Jahren Experten auf dem Gebiet der CD4-Zellen: Der dritte Erstautor, Dr. Marco Frentsch, hat 2003 eine Methode etabliert, wie man universell Immunantworten von CD4-Zellen messen. 20 Jahre hat es fast gedauert, bis diese Methode zur Methode der Wahl wurde, um Informationen zu bekommen in solch einer neuen Situation, in der man wirklich nicht viel weiß. Wir haben dann mit einer Berliner Firma zusammengearbeitet, JPT Technologies in Adlershof, die weltweit führend sind in der Herstellung von sogenannten Peptid-Pools, also der Zusammenstellung von kleinen Bruchstücken von Proteinen.

Diese Peptid-Pools, die die Firma für Sie hergestellt hat, das waren kleine Proteinbruchstückchen vom Virus?

Thiel: Von bestimmten Virus-Antigenen. Am Anfang haben wir uns für das Stachelprotein, für das Spike-Protein interessiert. Und nach und nach hat die Firma dann Peptid-Pools von allen Antigenen von SARS-CoV-2 hergestellt und uns zur Verfügung gestellt.

Und die haben Sie zu Immunzellen gegeben, um deren Aktivierung zu prüfen. Woher stammten die Zellen?

Braun: Zum Teil von uns selber, von unseren Kollegen hier im Institut, oder eben von den Patienten von Professor Leif Sander von der Medizinischen Klinik. Und die haben wir mit den Peptid-Pools über Nacht inkubiert. Und genau nach 16 Stunden wird gestoppt, gewaschen, gefärbt. Und da haben wir dann ... am 27. Februar, glaube ich, die ersten SARS-CoV-2-reaktiven Zellen bei einem unserer Doktoranden gesehen, was uns total überrascht hat, weil er nicht krank war. Aber das hat sich dann gehäuft, diese Beobachtung. Und wir haben festgestellt, im Vergleich zu den Patienten, dass eben dieses Hinterende, das membranständige Ende dieses Spike-Rezeptors bei den gesunden Spendern stärker reagiert als das für SARS-CoV-2 spezifischere Vorderende. Und das war letztlich die Entdeckung, dass es also doch scheinbar gegen dieses Stachelprotein eine Immunität gibt.

Das heißt also, wer schon einmal einen normalen Schnupfen hatte, der hat Immunzellen im Blut, die auch das SARS-CoV-2-Virus erkennen?

Braun: So würde ich es sagen.

Was bewirken denn diese Zellen? Schützen sie tatsächlich vor einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus? Oder schwächen Sie die Infektion nur ein bisschen ab?

Thiel: Also unsere Vermutung war schon damals, dass das schon auch verantwortlich ist für die sehr häufigen milden Verläufe. Die andere Möglichkeit war aber auch damals, wenn jemand solche Zellen hat vorher und dann infiziert wird, dass er einen schweren Verlauf entwickelt, genau aufgrund der Tatsache, dass er solche Zellen hat, die dann was Falsches machen.

Wie kann man sich das vorstellen, dass das dann besonders schlimm verläuft, wenn man sozusagen schon einen gewissen Schutz hat?

Thiel: Jetzt mit viel mehr Daten, und unsere Ergebnisse sind ja auch bestätigt worden von anderen Arbeitsgruppen, kann man eigentlich sagen: Nein, das kann nicht ausschlaggebend sein für schwere Verläufe. Wir haben jetzt 900 gesunde Probanden und ein paar hundert Covid-19-Genesene analysiert im letzten halben Jahr. Und wir schreiben es gerade zusammen und gucken mal, was dabei rauskommt.

Können Sie denn schon sagen, dass die Covid-19-Patienten weniger haben von diesen CD4-positiven Zellen, die gegen andere Coronastämme gerichtet sind, als die nicht Erkrankten?

Thiel: Wir alle haben so viel und so oft Kontakt mit den endemischen Coronaviren, das ist sättigend. Der Grund, weswegen manche von uns vielleicht weniger von diesen kreuzreaktiven T-Zellen haben, liegt eher wahrscheinlich an Faktoren wie Alter oder spezielleren Defizienzen.

Man würde ja erwarten, dass, je älter man wird, desto wahrscheinlich ist es, dass man schon Kontakt hatte mit irgendwelchen Coronaviren, und desto wahrscheinlicher müsste es dann auch sein, dass man CD4-, also T-Helferzellen hat, die gegen Coronaviren gerichtet sind.

Thiel: Ja und nein. Wenn man kontinuierlich Kontakt hat mit diesen Viren, dann ja. Weil die Immunitäten gegen diese Coronaviren anscheinend interessanterweise nicht so stabil sind.

Gegen Schnupfen helfen sie ja auch nicht, das kriegt man ja auch immer wieder.

Thiel: Ja, genau, das ist was Spezielles für mukosale respiratorische Infektionen, dass da nicht so ein immunologisches Gedächtnis dafür gemacht wird oder entsteht, das dann auf zehn Jahre hinweg eine fast sterile Immunität bringt. Das funktioniert da irgendwie nicht. Und das ist auch bei den Coronaviren so.

Man kann sich also ein zweites Mal anstecken?

Thiel: Also die Datenlage sagt ganz klar: Ja, das geht. Wie das bei den Impfungen jetzt ist, das ist noch mal eine andere Geschichte. Die Impfung, und das zeigen die ersten Daten jetzt aus Studien, Preprints, auch eigene Daten, die wir jetzt haben, die induziert eine sehr viel stärkere Antwort als die natürlichen Infektionen. Dann könnte man extrapolieren: Es kann sein, dass die einfach auch länger hält jetzt. Aber man weiß es noch nicht.

Wie verhält es sich mit diesen T-Zellen im Verlauf des Lebens, je älter man wird.

Thiel: Wenn man 60-Jährige analysiert, da gibt’s noch nicht so viel Unterschied zu den Jüngeren. Aber so ab 80 gibt es Unterschiede. Das Immunsystem ist nicht gemacht dafür, mit 80, 90 noch irgendwelche neuen Sachen zu bekämpfen.

Haben ältere Menschen weniger Zellen, werden die weniger reaktiv?

Thiel: Da gibt’s alle möglichen Dinge, die mitspielen. Der Thymus verändert sich schon ab der Pubertät. Kinder produzieren millionenfach T-Zellen, jeden Tag neue T-Zellen. Ab der Pubertät nimmt das kontinuierlich ab. Und wenn man sehr alt ist, 80, da wird nicht mehr viel gemacht. Man hat ja dann einen Schutz aufgebaut evolutionär gegen die Pathogene, mit denen man zu tun hatte. Und wenn was ganz Neues kommt, dann funktioniert ein altes Immunsystem nicht mehr so gut.

Vielen Dank für das Interview!