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Publikation

Boschmann, M., Kaiser, N., Klasen, A. et al. Effects of dietary protein-load and alkaline supplementation on acid–base balance and glucose metabolism in healthy elderly. Eur J Clin Nutr 74, 48–56 (2020). doi.org/10.1038/s41430-020-0695-3

Interview

Es gibt einen großen Markt für Nahrungsergänzungsmittel, die vorgeben, den Säure-Base-Haushalt im Körper positiv zu beeinflussen. Manche Wissenschaftler bezweifeln dies, weil diese Wirkung bisher nicht entsprechend belegt ist. Wissenschaftler*innen um Dr. Michael Boschmann vom BIH und vom ECRC, dem Experimental and Clinical Research Center von Charité und MDC, sowie Dr. Rainer Stange und Prof. Andreas Michalsen vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité, konnten nun mit einer besonderen Methode, der Mikrodialyse im Muskel, zeigen, dass solche Nahrungsergänzungsmittel durchaus einen positiven Effekt haben können, allerdings weniger im Blut, das ist gut gepuffert, sondern auf den Muskel und die Niere. Und das ist durchaus von Bedeutung, wie sie im Interview betonen.

Was genau wollten Sie untersuchen?

Michalsen: Wir wollten untersuchen, ob Nahrungsergänzungsmittel, etwa bestimmte Mineralsalze wie Magnesiumcitrat oder Kalziumcitrat, die Säure-Base-Regulation im Körper positiv beeinflussen.

Wodurch wird denn überhaupt der Säure-Base-Haushalt im Körper beeinflusst?

Stange: Wenn wir vor allem viel tierisches Eiweiß essen, etwa Fleisch oder Milchprodukte. Tierisches Eiweiß enthält mehr schwefelhaltige Aminosäuren als pflanzliches Eiweiß. Beim Abbau dieser Aminosäuren entsteht Schwefelsäure, die das umgebende Milieu „ansäuert“, das heißt, den pH-Wert im Gewebe vermindert. Gemüse und Obst haben den gegenteiligen Effekt: sie bewirken sie im Stoffwechsel des Körpers eine Anhebung des ph-Wertes und wirken dadurch basisch bzw. neutralisierend - und das, obwohl sie, wie beim Obst, durchaus sauer schmecken können.

Wie sind Sie vorgegangen?

Boschmann: Wir haben zwei Gruppen gebildet: Jeweils 20 gesunde, ältere Männer und Frauen ernährten sich über 4 Wochen proteinreich und erhielten dazu entweder ein Placebo oder das Nahrungsergänzungs-mittel (Verum). Davor und danach haben wir untersucht, welche Effekte sich auf den Stoffwechsel zeigen – und das auf 3 Ebenen: 1. im Blut über bestimmte Stoffwechsel und Säure-Basen-Parameter, 2. mittels indirekter Kalorimetrie über die Bestimmung von O2-Verbrauch und CO2-Produktion in der Atemluft zur Bestimmung von Energie-, Kohlenhydrat- und Fettumsatz im Gesamtorganismus, und 3.  mit unserer besonderen Untersuchungsmethode, der Mikrodialyse im Muskel zur direkten Untersuchung der Wechselwirkung von Stoffwechsel und Säure-Basen-Verhältnis.

Und was haben Sie gefunden?

Boschmann: Wir konnten zeigen, dass die proteinreiche Diät tatsächlich das Säure-Basen-Verhältnis beeinflusst – nicht so sehr den pH-Wert, eher die Antwort der Puffersysteme, speziell des Bikarbonats.  Unter dem Verum waren die Bikarbonat-Spiegel schneller auf dem Ausgangsniveau als unter Placebo. Außerdem ergaben die kalorimetrischen Messungen, dass sich der Kohlenhydratstoffwechsel unter dem Verum tendenziell verbessert hatte. Zudem fielen die Anstiege von Blut-Glucose und Insulin nach der Testmahlzeit unter dem Verum geringer aus als unter Placebo. Überraschend waren aber die Ergebnisse im Muskel: Hier zeigte sich, dass der oxidative Glucose-Stoffwechsel im Muskel nach einer proteinreichen Testmahlzeit in der Verum Gruppe deutlich besser war als in der Placebogruppe. Das bedeutet, dass hier die Glucose vollständig zu CO2 und Wasser abgebaut wurde, während in der Placebogruppe wesentlich mehr Milchsäure entstand. Und das lässt auch darauf schließen, dass hier auf Organebene der Säure-Base-Haushalt positiv beeinflusst wurde.

Und das ist wichtig?

Stange: Ja natürlich, das hat auch klinische Bedeutung, etwa bei Diabetikern, von denen wissen wir, dass ihre Gewebe oft chronisch latent übersäuert sind und deshalb die Glucose nicht richtig abgebaut wird. Da können diese Nahrungsergänzungsmittel helfen.

Und bei Gesunden? Sollte jeder nach einer proteinreichen Mahlzeit diese Mineralsalze einnehmen?

Michalsen: Wir ernähren uns ja leider üblicherweise sehr säurelastig, unsere westlichen Essgewohnheiten sind sehr proteinreich. Und insbesondere, wenn man älter wird und die Nierenfunktion nachlässt, könnte man mit diesen Zusatzstoffen gegensteuern.

Ginge das auch mit einer ausgewogenen Ernährung?

Michalsen: Wir müssten mehr Basenträger zu uns nehmen, das sind Gemüse, Salat und die meisten Obstsorten. Leider essen wir aber zu viele neutrale oder leicht saure Lebensmittel wie Brot oder Nudeln und nehmen damit so viele Kalorien zu uns, dass uns dann ganz einfach der Platz fehlt. Optimal wären 80 Prozent basisch, 20 Prozent säurebildend, aber in der Realität schaffen das die Wenigsten.

Die Studie wurde finanziert von einer Firma, die solche Nahrungsergänzungsmittel herstellt, und nun kommt heraus, dass die eigentlich ziemlich wirksam sind, hätten Sie die Ergebnisse im negativen Fall auch veröffentlicht?

Boschmann: Ja, natürlich, das war sogar vertraglich vorher so festgelegt, dass die Ergebnisse in jedem Fall veröffentlicht werden. Es ist leider so, dass es nur sehr wenig öffentliche Gelder für solche Forschungen gibt, von daher haben wir uns sehr gefreut, dass die Firma auf uns zukam und wissen wollte, ob ihre Produkte tatsächlich das halten, was sie versprechen.