Die Präeklampsie wurde früher auch Schwangerschaftsvergiftung genannt: Der Blutdruck steigt plötzlich rasant an, es findet sich vermehrt Eiweiß im Urin, Wasser in Armen oder Beinen, so genannte Ödeme, treten auf und die Betroffenen verspüren Schwindel, Kopfschmerz, Übelkeit oder Oberbauchschmerzen. „Etwa 10 bis 15 Prozent aller Schwangeren entwickeln mindestens einmal im Verlauf ihrer Schwangerschaft einen klinischen Verdacht auf Präeklampsie“, berichtet Professor Stefan Verlohren, Oberarzt an der Klinik für Geburtsmedizin am Charité Campus Mitte. „Tatsächlich betroffen sind aber nur zwei bis fünf Prozent, und nur bei einem Teil dieser Frauen treten schwere Komplikationen auf.“
„Das Messen des Blutdrucks und des Eiweiß im Urin reicht einfach nicht aus, um genauere Vorhersagen zu treffen. Und obwohl wir heute neue Biomarker eingeführt haben, wie sFlt-1 und PIGF, wollten wir der Hypothese nachgehen, ob wir mit machine-learning-Algorithmen nicht mehrere Testergebnisse gemeinsam auswerten und damit besser vorhersagen können, wer in Gefahr ist und wer nicht.“
Datensätze von 1647 Patientinnen ausgewertet
Zunächst trugen die Wissenschaftler*innen um Stefan Verlohren reelle Behandlungsdaten von insgesamt 1647 Präeklampsie-Hochrisiko-Patientinnen der Charité Geburtsmedizin aus den Jahren 2010 bis 2019 in einer Datenbank zusammen. Mithilfe dieser Datensätze entwickelte das Team ein Modell mithilfe von machine-learning Methoden bzw. Künstlicher Intelligenz (KI), das berechnen sollte, mit welcher Wahrscheinlichkeit Komplikationen auftreten würden. Insgesamt bezogen sie 114 verschiedene Werte in die Auswertung mit ein.
„Nachdem wir die Algorithmen mit den klinischen Datensätzen trainiert hatten, haben wir die Vorhersagegenauigkeit unserer KI mit der bisher üblichen Vorhersage aufgrund klinischer Parameter verglichen“, berichtet Leon Schmidt, Doktorand in Verlohrens Arbeitsgruppe „Unsere Algorithmen waren den bisherigen Vorhersagen auf der Grundlage von Blutdruck, Proteinurie und sFlt-1/PIGF-Quotient deutlich überlegen. Insbesondere war der positive Vorhersagewert – also dass eine Komplikation tatsächlich auftreten wird – doppelt so häufig zutreffend.“
KI kann Arzt oder Ärztin nicht ersetzen – aber helfen!
Das Digital Health Accelerator Programm des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) fördert die weitere Produktentwicklung, damit eine Lösung basierend auf dem Algorithmus perspektivisch in die breite Anwendung gelangen kann und so vielen Patientinnen und Ärzt*innen zur Verfügung steht. Zunächst müssen jedoch prospektive Studien die Validität des Algorithmus bestätigen. „Die KI kann den Arzt oder die Ärztin natürlich nicht ersetzen“, ist der Mediziner Verlohren überzeugt. „Aber wenn sie darüber entscheiden müssen, wie sie eine Patientin mit Präeklampsie weiter behandeln sollen, hilft es sicher, dies auf einer besseren Grundlage zu tun. Damit könnten potentiell lebensbedrohliche Komplikationen für Mutter und Kind vermieden werden.“
Originalveröffentlichung: Am J Obstet Gynecol. 2022 Jan 31:S0002-9378(22)00050-3.
doi: 10.1016/j.ajog.2022.01.026