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Interviewpartner: BIH Professor Marcus Mall

Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Podcast-Folge 12 zum Nachlesen

Herzlich willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health. Wir wollen in diesem Podcast Fragen beantworten rund um das Thema Gesundheit und Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann.

Heute bin ich zu Gast in der Kinderklinik der Charité, bei BIH-Professor Markus Mall. Er ist der Direktor der Abteilung Lungenkrankheiten, Immunologie und Intensivmedizin und er behandelt unter anderem kleine und große Patientinnen und Patienten mit Mucoviszidose. 

Seltmann: Herr Mall, was ist das für eine Krankheit?  

Mall: Die Mukoviszidose ist die häufigste Erbkrankheit in Deutschland. Es ist eine komplexe Erkrankung, die im frühen Kindesalter beginnt und verschiedene Organe betrifft. Wir sprechen auch von einer Multiorganerkrankung. In erster Linie ist die Lunge betroffen. Auch die Bauchspeicheldrüse, der Darm, die Leber können betroffen sein. Und es ist eine chronisch ... eine angeborene schwere chronische Erkrankung.

Seltmann: Das heißt, es wird im Verlauf des Lebens immer schlimmer?

Mall: Das heißt, dass einige  Beschwerden schon kurz nach Geburt eintreten. Das betrifft vor allem die Fehlfunktion der Bauchspeicheldrüse, die eine schwere Verdauungsstörung macht. Das heißt, schon die jungen Säuglinge können nicht gut an Gewicht zunehmen. Und im Hinblick auf die Lunge ist es so, dass die Probleme sich dort in den ersten Lebensjahren zeigen und dann im Lauf des Lebens zunehmend schlimmer werden.

Seltmann: Sie haben gesagt, die Krankheit ist angeboren. Was ist denn da der Fehler? Was ist genau da vererbt von den Eltern?

Mall: Es sind Veränderungen, sogenannte Mutationen in einem Gen, das wir CFTR nennen. Und dieses Gen, das ist verantwortlich für ein Eiweißmolekül, das die Funktion eines kleinen Chloridkanals hat. Und dieser Chloridkanal, der wird in ganz vielen Schleimhautzellen im Körper gebildet, zum Beispiel in den Schleimhäuten der Lunge, des Darms, aber eben auch der Bauchspeicheldrüse und der Leber, und spielt dort eine ganz wichtige Rolle bei dem Salz- und Wassertransport. Und der Salz- und Wassertransport, der bestimmt letzten Endes die Zusammensetzung, die Befeuchtung der Sekrete des Schleims und damit auch die Funktion. In der Lunge führt das dazu, dass der Schleim zu zäh, zu klebrig wird, daher auch ...

Seltmann: Zu wenig Wasser enthält?

Mall: Ja. Daher auch der Name Mukoviszidose, visköser Mukos, visköser Schleim. Und das führt dazu, dass die Atemwege verstopft werden, dass er nicht aus der Lunge abtransportiert werden kann und dass sich dann Bakterien und Viren einnisten können und im Grunde wiederkehrende oder sogar chronische Infektionen, Lungen-, Atemwegs-, Lungenentzündungen machen können, die dann letzten Endes über die Zeit dazu führen, dass die Atemwege und die Lunge zerstört werden, was eines der nach wie vor der Hauptprobleme unserer Patienten ist.

Seltmann: Jetzt haben Sie schon gesagt, die Krankheit wird vererbt. Häufig aber sind ja die Kinder krank, aber die Eltern nicht. Wie kommt das denn?

Mall: Das kommt so, dass es eine sogenannte autosomal-rezessive Erkrankung ist. Jedes Gen wird auf zwei Chromosomen vererbt. Und bei dieser Erkrankung ist es so, dass, wenn nur ein Chromosom betroffen ist, ein Allel, ist man ein gesunder Träger, die Eltern. Während wenn beide Allele betroffen sind, dann kommt es erst zum Ausbruch der Erkrankung.

Seltmann: Das heißt die Eltern, die haben jeweils ein krankes Gen und sind deshalb äußerlich sozusagen gesund, aber wenn sich dann zwei Eltern treffen, die beide ein krankes Gen haben und sich diese beiden kranken Gene in dem Kind treffen, dann wird das Kind krank?

Mall: Das ist richtig, ja. Das heißt, es betrifft im Grunde statistisch gesehen eines von vier Kindern von Eltern, die jeweils Träger, gesunde Träger einer Genveränderung sind.

Seltmann: Das heißt, als Eltern kann man also sozusagen kranke und gesunde Kinder zur Welt bringen?

Mall: Absolut, ja.

Seltmann: Jetzt haben Sie schon gesagt, die Mukoviszidose ist eine Erbkrankheit, man weiß, welches Gen verantwortlich ist. Das weiß man noch gar nicht so lange. Sie selbst haben sogar daran geforscht?

Mall: Ja, also man weiß es seit ziemlich genau 30 Jahren, ja. Und damals war es eines der ersten Gene, das entdeckt wurde im Zusammenhang mit einer schweren Erbkrankheit. Und das war sogar kurz vor der Zeit, als ich mich entschieden habe, meine Doktorarbeit anzufangen, und hat mich dann auch vom Thema so interessiert und stimuliert, dass ich in der Tat bereits im Rahmen meiner Doktorarbeit an der Erkrankung und an den Krankheitsmechanismen auf zellulärer Ebene gearbeitet habe.

Seltmann: Sind Sie deshalb Kinderarzt geworden, weil Sie das so spannend fanden?

Mall: Also das ist sicher nicht der einzige Grund, hat aber, denke ich, doch dazu beigetragen, weil ich dort auch gesehen habe, dass es, gut, zum einen ein interessantes biologisches Problem ist und dass es in der Kindermedizin viele Erkrankungen gibt, bei denen es ähnlich ist, dass sie verursacht durch Gendefekte zu früh beginnenden schweren Erkrankungen führen, die wir bisher teilweise noch sehr schlecht verstehen und für die wir noch keine Therapie haben.

Seltmann: Wie werden denn die Mukoviszidose-Patienten behandelt? Wie kann man ihnen denn helfen?

Mall: wenn man an die Fehlfunktion der Bauchspeicheldrüse denkt, die keine Verdauungsenzyme mehr produzieren kann, geht es darum, die Verdauungsenzyme zu ersetzen. Wenn man an die Lunge denkt, geht es darum, zum Beispiel durch schleimlösende Inhalation den Abtransport des Schleims zu verbessern, durch Physiotherapie das zu erreichen, Infektionen mit Antibiotika zu behandeln, also im Grunde zu versuchen, dort gegenzusteuern, wo die Probleme auftreten oder wenn die Probleme aufgetreten sind. Was wir bei der Erkrankung auch gelernt haben, ist, dass es wichtig ist, sich zu spezialisieren und die Patienten auch in einem interdisziplinären Team zu behandeln.

Seltmann: Das heißt, interdisziplinär, verschiedene Ärzte?

Mall: Nicht nur Ärzte, das ist ein ganz wichtiger Punkt, sondern eben auch die anderen Spezialisten. Also eine professionelle spezialisierte Ernährungsberatung für diese Erkrankung, Physiotherapie für diese Erkrankung, psychologische Unterstützung. Und auch Dinge wie wenn es zu einem längeren Krankenhausaufenthalt kommt, schulische Betreuung. Wirklich ein Team von Spezialisten, zu denen nicht nur Ärzte gehören, die sich um die Patienten kümmern und die letzten Endes lebenslang begleiten, um diese schwere chronische Erkrankung optimal zu behandeln. Damit, mit dieser spezialisierten Betreuung und den symptomorientierten Therapien haben wir es geschafft, die Lebenserwartung der Patienten von dem Kindesalter, wo sie vor 30, 40 Jahren war, jetzt bis ins mittlere Erwachsenenalter zu steigern.

Seltmann: Das heißt, die Kinder sind früher schon im Kindesalter gestorben?

Mall: Viele Kinder sind schon im Kindesalter gestorben, wenn man die Erkrankung nicht behandelt. Und es gibt Länder auf der Welt, wo das nach wie vor so selten ist, dass sie nicht erkannt wird oder es die Behandlungsmöglichkeiten nicht entsprechen gibt, ist es nach wie vor eine Erkrankung, an der man mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits im Kindesalter verstirbt.

Seltmann: Eine seltene Erkrankung, haben Sie gesagt. Wie häufig ist sie denn? Wie viele sind denn in Deutschland zum Beispiel betroffen? Wie viele Patienten haben Sie?

Mall: Also es ist eine Erkrankung der sogenannten weißen Bevölkerung. Das heißt, sie kommt am häufigsten vor in Westeuropa und Nordamerika. Und da gehen wir davon aus, dass etwa 1 zu 2500 bis 1 zu 4000 Neugeborene betroffen sind. Das stimmt auch in Deutschland. Das heißt, wir gehen davon aus, dass wir insgesamt etwa 8000 Patienten mit der Erkrankung haben in Deutschland. Mittlerweile ist über die Hälfte der Patienten erwachsen. Und wir betreuen hier in Berlin an unserem Zentrum etwa 400 Patienten, Kinder und Erwachsene, mit Mukoviszidose.

Seltmann: Jetzt haben Sie schon gesagt, mittlerweile kann man die Patienten bis ins jüngere Erwachsenenalter hinein bekommen, mit den verschiedenen Therapien, die Sie angesprochen haben. Jetzt aber hat man eine ursächliche Therapie entwickelt. Wie funktioniert die und was steckt dahinter?

Mall: Da muss ich vielleicht ein bisschen ausholen. Was man nach der Entdeckung des Gendefekts gefunden hat, ist, dass es letzten Endes nicht nur einen Gendefekt, eine Mutation gibt, sondern über 2000 verschiedene Veränderungen in diesem CFTR-Gen. Das war eine wichtige Erkenntnis. Diese über 2000 Veränderungen, die führen dazu, dass es ganz unterschiedliche Mechanismen gibt, wie es praktisch zu einer Fehlfunktion dieser Chloridkanäle kommen kann. Und eine andere wichtige Entdeckung war, dass es eine Hauptveränderung gibt, die sogenannte Delta F508-Mutation, die bei etwa 90 Prozent aller Patienten auf einem Allel zumindest vorkommt. Etwa die Hälfte aller Patienten ist homozygot, also hat diese Veränderung auf beiden Allelen. Und diese Hauptmutation, die führt zu einem Faltungsdefekt des Chloridkanals, der so schwer ausgeprägt ist schon in der Zelle, dass der Kanal in der Zelle komplett abgebaut wird, also als falsch erkannt wird und abgebaut wird und gar nicht an die Zellmembran kommt und damit überhaupt keine Funktion ausüben kann.

Seltmann: Das heißt, so einen Kanal stellt man sich vor wie so einen kleinen Tunnel, wie so eine Art Röhre, die in der Zellwand steckt und durch die dann Chlorid und Wasser durchfließt, und wenn das nicht aussieht wie eine kleine Röhre, dann sagt die Zelle: brauchen wir sowieso nicht?

Mall: So in etwa kann man sich das vorstellen. Und worum es jetzt eben ging bei der Entwicklung von Therapien, ist, eine Möglichkeit zu finden, die Faltung so zu verbessern zum einen, dass der Kanal nicht mehr als falsch erkannt wird, und zum anderen, dass er dann, wenn er in die Zelloberfläche eingebaut wird, auch wirklich funktioniert. Und das war deshalb so schwierig, weil es letzten Endes, und das ist oft so in der Biologie, weil es eben noch komplizierter ist, als man zunächst gedacht hat. Es ist nicht nur ein Faltungsdefekt, sondern es sind zwei Faltungsdefekte. Das heißt, die initialen Bemühungen, einen Wirkstoff, ein Medikament zu entwickeln, ein sogenanntes kleines Molekül, was an dieser veränderten Stelle andockt und die so repariert, wenn man so will, dass der Kanal wieder funktionieren kann, hat nicht ausgereicht, um die Funktion vollständig herzustellen. Es hat eine ganze Zeit gedauert, um das überhaupt rauszufinden. Rauszufinden, dass es zwei Faltungsdefekte sind, und dann letzten Endes zwei Medikamente zu finden, die an den unterschiedlichen Stellen angreifen, um die Faltung so zu verbessern, das jetzt ein Chloridkanal hergestellt werden kann, der an die Zellmembran transportiert werden kann.

Jetzt wird es noch komplizierter. Wenn dieser Kanal an der Membran ist, funktioniert er immer noch nicht ideal und braucht deshalb ein dritten Wirkstoff, ein drittes Molekül, das ihm praktisch hilft, die Kanalporen zu öffnen, um für Chlorid durchgängig zu werden. Sodass es im Grunde eine ganze Zeit gedauert hat, diese Mechanismen zu verstehen, diese drei Wirkstoffe zu identifizieren und so zu kombinieren, dass sie Patienten verabreicht werden können und dort eben den erwünschten Effekt haben, diese häufige Mutation so effektiv zu reparieren, dass man die Funktion zu einem Großteil wiederherstellen kann und damit auch deutliche therapeutische Erfolge, Wirkung erzielen kann.

Seltmann: Jetzt haben Sie schon davon gesprochen, in dem Gen, in dem langen, langen Gen, das die Bauanleitung für dieses Eiweiß herstellt, gibt es verschiedene Fehler. Und Sie reparieren aber nicht die Bauanleitung, was vielleicht man zunächst erwarten würde im Zeitalter der Genchirurgie mit CRISPR/Cas und sonstigen Werkzeugen, sondern Sie lassen das erst mal herstellen, so fehlerhaft, wie es halt hergestellt wird, und schubsen es dann in die richtige Form. Ist das der Ansatz dieser Therapie?

Mall: Das ist der Ansatz dieser Therapie, also einer pharmakologischen Therapie, eine auf Wirkstoff basierte Teilreparatur des Eiweißmoleküls. Natürlich hat man schon nach der Entdeckung des Gendefekts vor 30 Jahren an genau das gedacht, was Sie eben erwähnt haben: Gentherapie, Genersatztherapie. Daran hat man auch die ersten 10, 15 Jahre nach Entdeckung des Gendefekts gearbeitet. Und es bis heute nicht gelungen, eine Gentherapie für die Erkrankung zu machen, die so effektiv ist wie diese neue Pharmakotherapie. Das liegt daran, dass es extrem schwierig ist, diese sagen wir mal reparierten oder gesunden Minigene, wenn man so will, in die Lunge zu bringen durch diese verschleimten Atemwege und dann eben auch in die Atemwegszellen zu bringen – die Lunge hat über 20 verschiedene Zelltypen, für nicht alle sind diese Chloridkanäle wichtig –und dann auch noch dafür zu sorgen, dass sie dauerhaft dortbleiben. Das ist also ein Grund, warum es bisher für die Behandlung der Lungenerkrankung noch nicht gelungen ist. Und jetzt hab ich ja am Anfang gesagt, das ist eine Multiorganerkrankung. Es ist auch eine ganze Reihe anderer sogenannter epithelialer Organe betroffen. Und auch dort ist die Gentherapie bisher noch nicht so weit, dann gezielt Zellen in verschiedenen Organen im Körper zu entwickeln.

Es ist aber durchaus eine Strategie, die weiterverfolgt wird, mit unterschiedlichen Ansätzen. Und ich denke, es wird noch einige Zeit dauern, bis das wirklich als Therapie in der Klinik zur Verfügung steht.

Seltmann: Jetzt haben Sie gesagt, diese Therapie besteht aus drei Wirkstoffen. Sind das dann drei Tabletten, die der Patient schlucken muss? Oder wie verabreicht man die überhaupt? Werden die inhaliert? Findet das in einer Art Dampf statt, den man einatmen muss?

Mall: Also das findet in Form von Tabletten statt, in denen diese drei Medikamente kombiniert werden, die also auch von der Dosierung und von der Zusammensetzung so kombiniert sind, dass es ausreicht, im Moment zweimal am Tag diese Tabletten einzunehmen. Der Vorteil einer Therapie dieser Erkrankung mit Tabletten im Vergleich zu einer Inhalationstherapie ist, dass dann das Medikament wirklich alle betroffenen Organe erreicht. Das heißt, wir haben dann auch die Möglichkeit, nicht nur die Lungenerkrankung zu behandeln, sondern eben auch die anderen betroffenen Organe mit zu behandeln.

Seltmann: Jetzt haben Sie mir schon im Vorgespräch erzählt, hinter dieser Dreifachtherapie steckt eine riesige Studie. Man weiß ja nicht so genau, welche drei Wirkstoffe man miteinander kombinieren muss. Wie findet man das raus? Wie geht man da vor? Wie viel Arbeit ist das, bis so eine Therapie auf dem Markt ist?

Mall: Also ich denke, wenn so ein Entwicklungsprogramm extrem erfolgreich ist, dauert es immer noch ungefähr 10 bis 15 Jahre. Und so lange hat auch diese Entwicklung gedauert. Das geht erst mal los mit der Identifikation dieser Wirkstoffe, dieser drei Wirkstoffe, von denen man jeden im Grunde erst mal einzelnen finden muss mit sogenannten Hochdurchsatzverfahren. Dann geht es weiter mit präklinischen Untersuchungen an Zellmodellen im Labor. Und wenn man dort einen Wirkstoff gefunden hat, von dem man sieht, dass er die Funktion dieser CFTR-Chloridkanäle verbessern kann, dann kann man beginnen mit frühen klinischen Prüfungen, zunächst mal bei gesunden Menschen, bei Freiwilligen, die sich zur Verfügung stellen, um zu gucken, ob diese Wirkstoffe überhaupt sicher sind oder ob sie irgendwelche Nebenwirkungen machen, die mit einer Therapie nicht vereinbar sind. Wenn man das schafft, dann kommt man zur sogenannten Phase 2 der klinischen Prüfung, und da geht es darum, im Patienten die Sicherheit zu untersuchen, aber auch schon ein erstes Gefühl für die Wirksamkeit zu bekommen.

Das sind typischerweise kleinere Studien mit 20 bis 30 Patienten in der Studie. Und was das Besondere hier an diesem Entwicklungsprogramm dieser neuen Dreifachtherapie von Mukoviszidose ist, ist, dass diese frühen klinischen Studien eben nicht nur mit einer Dreifachkombination gemacht wurden, sondern mit vier verschiedenen Dreifachkombinationen. Und der Grund dafür war einfach, dass man die Entwicklung so schnell wie möglich vorantreiben wollte und das Risiko minimieren wollte, dass Nebenwirkungen auftreten, die man vorher nicht erwartet hätte und die dann eben dies nicht ermöglichen, daraus ein wirkliches Medikament zu entwickeln. Hier war es so, dass alle vier Dreifachkombinationen im Grunde sehr gut funktioniert haben und dass man dann das im Grunde Luxusproblem hatte, wirklich diejenige mit dem besten Nebenwirkungsprofil und dem besten Wirksamkeitsprofil auszuwählen für die Phase-3-Studie, in der in ich glaube in über 80 Studienzentren weltweit über 400 Patienten untersucht wurden.

Seltmann: Und es scheint ja gut ausgegangen zu sein. Wie geht es denn den Patienten unter der Therapie? Sind die ganz gesund? Haben die gar keinen Schleim mehr in der Lunge? Funktioniert die Verdauung hundertprozentig? Oder geht es ihnen etwas besser? Funktioniert es bei allen Patienten?

Mall: Also was wir in der Studie gesehen haben, ist eine schnelle, anhaltende und deutliche Verbesserung der Lungenfunktion. Eine deutliche Abnahme der Verschlechterungen der Lunge im Rahmen von Infektionen, was für die Patienten auch natürlich hochrelevant und spürbar ist, weil sie im Rahmen dieser Verschlechterungen in der Regel in die Klinik, ins Krankenhaus aufgenommen werden müssen. Aber auch eine deutliche Verbesserung des Körpergewichts und der Lebensqualität. Was für mich als Wissenschaftler entscheidend ist, ist eine deutliche Verbesserung des Schweißchloridwerts, der uns im Grunde Informationen gibt über die Korrektur der Chloridkanäle.

Seltmann: Schweißchloridwert heißt, der Schweiß der Patienten ist eigentlich salzig? Wenn man bei Wikipedia unter Mukoviszidose nachschaut, dann heißt, früher wurde sie diagnostiziert, indem man das Neugeborene auf die Stirn küsste, und wenn der Kurs salzig schmeckte, dann war dem Kind kein langes Leben beschert.

Mall: Ja, das ist richtig. Der Schweiß der Patienten ist extrem salzig. Er hat fast so einen hohen Salzgehalt wie das Blut. Und das liegt daran, dass diese Chloridkanäle in unseren ... sagen wir mal in den Ausführungsgängen der Schweißdrüsen wichtig sind, um das Kochsalz aus dem Primärschweiß in den Körper zurückzuholen. Wenn das nicht funktioniert, wird das Kochsalz an die Körperoberfläche abgegeben, der Schweiß ist salzig. Wenn die Kanäle jetzt wieder funktionieren, dann nimmt eben der Salzgehalt im Schweiß ab. Und das passiert jetzt mit dieser neuen Therapie in einem Umfang, dass wir davon ausgehen können, dass mindestens 50 Prozent der Normalfunktion wiederhergestellt werden kann.

Seltmann: Das gibt Ihnen sozusagen einen messbaren Wert, wie es den Patienten geht. Aber wenn Sie jetzt deutliche Verbesserung der Lebensqualität ... Also man liest und sieht Menschen, die dreimal täglich unter schrecklichen Anstrengungen diesen Schleim abhusten müssen. Verbessert sich auch das?

Mall: Auch die Lebensqualität wurde in der Studie registriert. Und die Therapie hat zu einer Verbesserung der Lebensqualität geführt, wie wir sie bei Mukoviszidose oder auch anderen Lungenerkrankungen in dem Umfang bisher noch nicht gesehen haben.

Seltmann: Das bedeutet? Können Sie ein bisschen beschreiben, wie es den Patienten geht jetzt, wie sie ihr tägliches Leben gestalten können?

Mall: Also was ich schon gesagt habe, eine deutliche Abnahme der Infekte, eine deutliche Stabilisierung, aber auch eine deutliche Abnahme der Beschwerden, die durch die Lungenerkrankung ausgelöst werden. Auch insgesamt, das ist auch interessant, ein deutlich höheres Aktivitätsniveau. Also es wurde nach Müdigkeit, nach Fatigue gefragt. Und das war in der behandelten Gruppe signifikant vermindert im Vergleich zu der Gruppe, die in der kontrollierten Studie ein Placebo bekommen hat. Was vielleicht hier noch wichtig ist: Diese Studie wurde ja bei Jugendlichen und Erwachsenen gemacht, von denen die meisten ja schon eine chronisch etablierte Lungenerkrankung und auch Problemen in anderen Organen hatten. Und ein Teil dieser Veränderungen sind irreversibel, irreversible Umbauprozesse, Schädigungen der Organe, von denen man nicht erwarten kann, dass sie durch diese Therapie reversibel sind. Man kann aber erwarten, dass es zu einer akuten Verbesserung kommt auf ein bestimmtes Niveau, die wir auch beobachtet haben, und dass dann die Verschlechterung in der Zukunft deutlich reduziert werden kann, also im Grunde die Progression der Erkrankung verlangsamt werden.

Seltmann: Nun kann man sich auch vorstellen, dass man Kinder schon behandelt und dann die Krankheit gar nicht erst so schlimm wird.

Mall: Richtig, das ist jetzt natürlich eine völlig neue Perspektive. Wir haben seit einigen Jahren in Deutschland das Neugeborenen-Screening für Mukoviszidose. Das heißt, wir können die allermeisten Kinder in den ersten Lebenswochen diagnostizieren, wo die Lunge im Prinzip noch gesund ist. Und wir haben jetzt die Möglichkeit, mit diesem neuen kausalen Therapieansatz, und ich gehe davon aus, dass die Korrektur so gut ist, dass wir echt eine Chance haben, durch eine Frühtherapie das Entstehen von chronischen, möglicherweise irreversiblen Lungenschäden deutlich zu verzögern, möglicherweise sogar komplett zu verhindern, dahingehend dass es wirklich eine behandelbare Erkrankung wird, und die Lebenserwartung nicht mehr durch die Erkrankung selbst limitiert wird.

Seltmann: Das ist fast vergleichbar wie die Situation bei einer HIV-Infektion, die heute nicht mehr tödlich verläuft, oder mit Diabetes, die auch durch Insulin gut in den Griff zu bekommen ist?

Mall: Ich denke, es ist durchaus vergleichbar mit diesen beiden Erkrankungen. Was ganz entscheidend sein wird dabei, und das wissen wir ehrlich gesagt noch nicht, ist natürlich die Langzeitverträglichkeit. Es sind neue Moleküle, neue Medikamente. Also das wird entscheidend, dass die dann wirklich, wenn man die 60, 70, 80 Jahre einsetzt, sicher sind.

Und das andere ist natürlich, dass diese Therapie dann auch regelmäßig durchgeführt werden muss. Es gibt ganz interessante Erstuntersuchungen in einem Tiermodell, in dem man die Behandlung nicht früh nach Geburt, sondern sogar im Mutterleib begonnen hat und dabei zeigen konnte, dass der Ausbruch der Erkrankung damit komplett verhindert werden kann, dass man aber, wenn man die Medikamente absetzt nach Geburt, es relativ schnell wieder zu Symptomen in der Lungen und in anderen Organen kommt.

Seltmann: Das heißt, Ziel längerfristig wäre schon auch, da weiter noch dran zu forschen, dass man möglicherweise mithilfe einer Gentherapie die Krankheit komplett eliminiert?

Mall: Also Gentherapie wäre die ultimative kausale Therapie. Ich denke, diese medikamentöse Therapie, die wir jetzt haben, ist durchaus eine Möglichkeit, die Mukoviszidose in Zukunft gut zu behandeln. Es gibt ja noch eine kleine Gruppe von Patienten, und ich habe gesagt, diese Hauptmutation kommt bei etwa 90 Prozent der Patienten vor, das heißt, es gibt noch eine kleine Gruppe von Patienten, die wir auch in Zukunft mit dieser Therapie nicht erreichen können. Und das bleibt natürlich weiter ein wichtiges Forschungsgebiet, hier auch noch über andere medikamentöse Ansätze oder Gentherapie diese Patienten auch noch effektiv behandeln zu können.

Seltmann: Ganz kurz zum Schluss. Die Therapie ist in den USA bereits zugelassen und erhältlich, in Europa noch nicht. Rechnen Sie damit, dass das auch noch kommt?

Mall: Also das ist wirklich so ein Durchbruch in der Therapie, dass ich fest damit rechne. Es ist auch bei der europäischen Zulassungsbehörde schon eingereicht. Die USA, die FDA ist in der Regel schneller. Aber ich bin hoffnungsvoll, dass wir im Lauf des nächsten Jahres dieses Medikament in Deutschland auch zu Verfügung haben.

Seltmann: Und Kinder waren nicht Teil der klinischen Studie? Ist das Medikament trotzdem auch für Kinder zugelassen, sodass man das ausprobieren kann, ob man die Krankheit mehr oder weniger verhindern kann?

Mall: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Also die klassische Entwicklung ist so, dass man Medikamente erst mal bei Erwachsenen, dann bei Jugendlichen ab zwölf Jahren testet und dass sie dann auch erst für diese Altersspanne zugelassen werden. Also auch die Zulassung in den USA ist jetzt erst mal ab zwölf Jahren. Es laufen aber bereits Studien bei Kindern. Typischerweise macht man das im  Schulkindalter, bevor man dann Studien im Kleinkindalter macht. Sodass es da zu einer, und das ist leider immer so bei einer Entwicklung eines neuen Medikaments, noch zu einer gewissen Verzögerung kommen wird, dass wir aber fest damit rechnen, dass wir in Zukunft auch eine Zulassung für Kinder, auch schon für junge Kinder bekommen werden.

Seltmann: Vielen Dank.

Mall: Danke.

Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health. BIH Professor Marcus Mall erklärte, wie eine neue Dreifachtherapie Patienten und Patientinnen mit Mucoviszidose helfen kann. Falls auch Sie eine Frage zu Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an podcast@bihealth.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal sagt Stefanie Seltmann. 

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