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Die Myasthenia gravis (MG, „schwere Muskelschwäche“) ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die 15 bis 20 von 100.000 Menschen betrifft. Sie führt zu fluktuierender, belastungsabhängiger Muskelschwäche. In den Verläufen und der Krankheitsschwere gibt es große Unterschiede – die Myasthenie wird daher auch als „Snowflake-disease“ („Schneeflocken-Krankheit“) bezeichnet: Keine Krankheitsgeschichte gleicht der anderen. Nicht selten sind Menschen mit Myasthenie im Verlauf ihrer Erkrankung dazu gezwungen, Einschränkungen ihrer Aktivitäten sowohl im Beruf als auch in ihrer Freizeit hinzunehmen. Dies ist mit einer großen Belastung für die Betroffenen verbunden. Motorische und nicht-motorische Symptome wie Fatigue und Schmerzen führen zu einer herabgesetzten Lebensqualität und einem reduzierten psychischen Wohlbefinden. Die Studie „Fragebogenerhebung zur systematischen Erfassung und Charakterisierung von Einschränkungen der Lebensqualität im Rahmen der Myasthenia gravis (MG)“ ging daher der Frage nach, wie groß die Belastung im Leben der Patient:innen durch die Erkrankung ist und welche individuellen Faktoren einen positiven wie auch negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben können. Auf der Grundlage der Ergebnisse sollen langfristig Behandlungskonzepte entwickelt werden, die die Lebensqualität von Patienten mit Myasthenia gravis verbessern.

Aktive Patient:innenbeteiligung in der Studie

Aktive Patient:innenbeteiligung in der Studie Die Studie wurde in enger Kooperation mit der Deutschen Myasthenie Gesellschaft e.V. (DMG) am NeuroCure Clinical Research Center (NCRC) durchgeführt. Vertreter:innen der DMG waren an der Planung des Fragebogens und der Auswahl der Fragen beteiligt. Hierzu wurden in digitalen Treffen mit dem Vorstandsvorsitzenden der DMG sowie weiteren Mitgliedern, die alle auch MG-Patient:innen sind, zunächst der grobe Inhalt, Themenfelder und schlussendlich konkrete Fragen erarbeitet. Es wurde deutlich, dass es nötig war viele verschiedene Themenfelder zu beleuchten, wenn das Thema „Belastung durch die Erkrankung“ vollumfänglich verstanden werden sollte. Daher wurden neben demographischen Angaben und klinischen Merkmalen der Erkrankung auch Themenfelder wie familiäre Situation und soziale Unterstützung, Arbeitsleben und ökonomische Situation, Angst und Depression sowie Lebensqualität erfasst. Die finale Fragebogenversion wurde von den genannten Vertreter:innen der DMG freigegeben. Da die Umfrage anonym erfolgte, sollten Rückschlüsse auf Personen vermieden werden. Der Fragebogen wurde den Patient:innen zusammen mit einer Studieninformation per Post zugestellt. Zusätzlich erfolgte ein Schreiben des Vorsitzenden der DMG (Hans Rohn) an alle Mitglieder, das zu einer Teilnahme ausdrücklich aufforderte.

Die Ergebnisse wurden mit Patient:innen diskutiert. Dies erfolgte aufgrund der Pandemie digital im Rahmen mehrerer sogenannter Regionalgruppen-Treffen. Die Ergebnisse wurden den Patient:innen präsentiert und in einer lebhaften Diskussion die Relevanz besprochen und Einzelergebnisse in einen Gesamtkontext gerückt.

Eine erste Veröffentlichung in der DMG-Aktuell, der viermal jährlich erscheinenden Zeitschrift für DMG-Mitglieder, ist bereits erfolgt. Es folgen aktuell noch weitere Subgruppenanalysen; auch diese Ergebnisse werden den Patient:innen in Zukunft in der Mitgliederzeitschrift dargelegt.

Ergebnisse der Studie

Von den 3.262 Mitgliedern der DMG, die schriftlich zur Teilnahme eingeladen wurden, antworteten 1.660 Personen, was einer Response-Rate von mehr als 50% entspricht (1). Diese hohe Antwortrate zeigt die Relevanz des Themas für die Patient:innen. Die Ergebnisse der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wurden mit einer gematchten Kontrollgruppe aus der Allgemeinbevölkerung verglichen (Abb. 1 aus: Lehnerer et al., 2021, S. 8; CC BY 4.0)

Die Ergebnisse zeigen eine reduzierte Lebensqualität von Patient:innen mit MG im Vergleich zur Normalbevölkerung. Insbesondere in den Kategorien, die allgemeine Vitalität und körperliche Funktionsfähigkeiten betreffen, unterschieden sich die Patient:innen von der Normalbevölkerung, wohingegen es in den Kategorien Schmerz und Allgemeine Gesundheit keine Unterschiede gab. Frauen wiesen gegenüber Männern höhere Belastungen bzw. Einschränkungen auf. Neben motorischen Einschränkungen kann es zu weiteren Symptomen wie Fatigue oder Schlafmangel und zu Einschränkungen im Berufsleben kommen. Die Ergebnisse zeigen außerdem einen Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen sozialen Unterstützung und Einschränkungen in Aktivitäten des täglichen Lebens, Symptomen von Angst und Depression und der allgemeinen Lebensqualität.

Schlussfolgerungen und zukünftige Studien

Die Ergebnisse zeigen, dass neben den physischen Symptomen auch die psychischen Symptome bei der Behandlung eine stärkere Rolle spielen sollten. Neuere klinische Studien benutzen PROMs (patient-reported outcome measures) als primäre und sekundäre Endpunkte, was auch verdeutlicht, wie wichtig die Verbesserung der wahrgenommenen Symptome und Einschränkungen für die Patient:innen ist. Aus Patient:innensicht zeigte sich in der bisherigen Diskussion deutlich, dass die Einschränkungen weit über die motorischen Defizite hinausgehen und Auswirkungen im Arbeits-, Familien- und Sozialleben hoch sind. Letztere finden in der bisherigen Versorgung noch zu wenig Beachtung. Anhand der gewonnen Daten soll die Versorgung der Patient:innen künftig verbessert werden. Weitere gemeinsame Projekte mit der DMG werden diskutiert wie beispielsweise ein kontinuierliches Monitoring von PROMs durch eine digitale Plattform (www.myalink.de).

Der Artikel „Burden of disease in myasthenia gravis: taking the patient’s perspective“ (1) wurde mit dem QUEST Award für Patient & Stakeholder Engagement ausgezeichnet.

Referenzen

Lehnerer, S., Jacobi, J., Schilling, R., Grittner, U., Marbin, D., Gerischer, L., Stascheit, F., Krause, M., Hoffmann, S. & Meisel, A. (2021). Burden of disease in myasthenia gravis: taking the patient’s perspective. Journal of Neurology. Epub ahead of print. doi: 10.1007/s00415-021-10891-1

Kontakt

Dr. Sophie Lehnerer

Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie (CCM)

Charité – Universitätsmedizin Berlin

Kontaktinformationen
Telefon:+49 30 450 539 724
E-Mail:sophie.lehnerer@charite.de