Beispielhaft für eine erfolgreiche Vermittlung im Rahmen der Ideensprechstunde ist das Projekt zur Herstellung einer biologisch abbaubaren medikamentenbeladenen chirurgischen Matrix zur verbesserten Wundheilung von Dr. Philippa Seika, Prof. Dr. Med. Christian Denecke, Lennard Kenneth Shopperly, M.Sc., und Jacob Spinnen, M.D/Ph.D.. Um zukünftigen Innovator*innen einen realistischen Einblick in den Projekthergang als Teilnehmer*in unserer Förderprogramme zu ermöglichen, hat unsere Gründungsberaterin, Dr. Bettina Otto, die vier zu uns eingeladen und mit ihnen über ihre Erfahrungen, Ziele und Herausforderungen gesprochen.
Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt, um heute ein bisschen über euch und eure Idee zu sprechen. Woran genau arbeitet ihr zusammen?
Philippa Seika: Ich arbeite als Assistenzärztin in der Chirurgischen Klinik an der Charité. Wir in der Visceralchirurgie haben ein Hauptproblem der Anastomoseninsuffizienz vor Augen. Bei einer Magen-Darm-Trakt Operation müssen die entstandenen Enden des Darms im Anschluss wieder miteinander verbunden werden. Wenn die Verbindung nicht heilt, dann kann dies zu schwerwiegenden Konsequenzen wie Sepsis, Organversagen und damit verbundenen längeren Intensivaufenthalten führen. Wir arbeiten an einem Ansatz zur Lösung dieses Problems.
Ich kam gerade aus dem Forschungsaufenthalt in Boston, wo ich unter anderem auch an der Gewebsregeneration forsche. Gemeinsam haben Christian, Jacob, Lenny und ich überlegt, wie man Ansätze aus der Grundlagenforschung auch translational umsetzen könnte. Das ist das, was wir bei SPARK-BIH präsentiert haben. Wir arbeiten an einer Lösung, die darin besteht, eine biodegradables 3D gedrucktes Produkt herzustellen, das einen spezifischen Wirkstoff abgibt, um den Wundheilungsprozess zu verbessern.
Wie entstand die Idee für euer gemeinsames Projekt?
Philippa Seika: Christian und ich arbeiten schon länger daran, neue Ansätze zu entwickeln, um operative Komplikationen zu verringern und die Gewebsregeneration zu verbessern. Ich hatte eine grundsätzliche Idee für einen Therapieansatz und war mir zunächst nicht sicher, in welchem Stadium diese Idee sein muss, um sie mit jemandem zu besprechen. Mir war jedoch bewusst, dass patentrechtliche Strategien und IP nicht erst am Ende der Publikation, sondern bereits am Anfang mitgedacht werden müssen. Deswegen habe ich nach einem Service an der Charité gesucht, der mich diesbezüglich beraten kann und bin mit eurer Ideensprechstunde fündig geworden. Für die Realisierung meiner Idee suchte ich noch jemanden, der das eigentliche Produkt herstellen kann. Ihr habt mich daraufhin an Tanja, die Direktorin des SPARK-BIH-Teams vermittelt, die wiederum den Kontakt zu Jacob und Lennard hergestellt hat.
Lennard Kenneth Shopperly: Jacob ist Assistenzarzt in der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie und Junior Clinician Scientist am BIH, ich selbst bin Research Associate in der Klinik für Unfall- und Widerherstellungschirurgie. Wir beide kennen uns gut im Bereich 3D-Druck und Materialwissenschaft aus. Philippa verfügt durch ihre chirurgische Expertise und ihre Erfahrung mit Darmgewebe über Kompetenzen, die Jacob und ich selbst nicht abdecken können, auch wenn wir im Labor quasi eine ärztliche und wissenschaftliche Doppelspitze sind. Wir haben direkt erkannt, dass es eine gute Schnittmenge zwischen unseren Projekten gibt und wir als Team mit dem geplanten Projekt einen interessanten und vielversprechenden Use Case bearbeiten können. Wir haben daraufhin einen gemeinsamen Antrag eingereicht und sind vom SPARK-BIH-Team für einen Pitch eingeladen worden, für den Philippa extra aus Boston für zwei Tage nach Deutschland gekommen ist.
Jacob Spinnen: Das wussten wir tatsächlich sehr zu schätzen. Man macht an der Uni schon häufig die Erfahrung, dass es Lust und Motivation und die theoretische Kompetenz gibt, Projekte durchzuführen. Aber das dann auch umzusetzen und die Bereitschaft, die gesamten organisatorischen Dinge in Kauf zu nehmen, die ist wirklich nicht vorausgesetzt. Wenn jemand für einen Tag über den Äquator fliegt, spricht das sehr für die Bereitschaft nach Feierabend noch Forschung zu machen.
Das SPARK-BIH Programm unterstützt innovative Translationsprojekte mit meilensteinbasierter Finanzierung, Mentor*innenschaft und gezielter Ausbildung. Ihr seid jetzt seit Anfang des Jahres dabei. Wie ist euer erster Eindruck? Was erhofft ihr euch von der Förderung neben der finanziellen Unterstützung?
Lennard Kenneth Shopperly: So schnell wie wir den Antrag gestellt haben, habe ich das bisher noch nie erlebt. Wir haben schon den einen oder anderen Antrag gestellt. Und hier waren es vom ersten Treffen über die Antragstellung bis hin zur Bewilligung nur ungefähr drei Monate.
Jacob Spinnen: Von der Geschwindigkeit her hat man in dem Zeitraum eigentlich gerade einmal die Bestätigung der Fördereinrichtung vorliegen, dass die Papiere angekommen sind.
Lennard Kenneth Shopperly: Und das auch nur auf Nachfrage. [lacht]
Philippa Seika: Das Schöne an SPARK-BIH ist, dass das Programm das, was wir an theoretischem Wissen und praktischen Erfahrungen haben, sehr gut durch Ausbildung und Weiterbildung sowie durch Kontakte zur Businesswelt und zur Patentlandschaft ergänzt. Als Klinikerin weiß man selbst nicht, was für die Produktentwicklung alles erforderlich ist. Hier nimmt SPARK-BIH uns sehr an die Hand.
Lennard Kenneth Shopperly: Was Regulatorik angeht, ist SPARK-BIH super stark. Die regelmäßigen Meetings sowie auch die Präsentationen, bei denen man sein Projekt vorstellt und bei denen Experten aus der Regulatorikwelt und andere Wissenschaftler*innen anwesend sind und kritische Fragen stellen, sind einfach enorm wichtig, um die eigene Produktidee in so einem frühen Stadium weiterzuentwickeln und fertig auszuarbeiten. Durch die Milestones hat man konkrete Deadlines, die man zu jedem Halbjahr erreichen muss. Dadurch bleibt man aber auch fokussiert am Ball und lernt, sich realistische Ziele zu setzen. Hinterher spart es sogar Arbeit, weil man sich an dem Plan orientieren kann, den man zuvor ausformuliert hat.
Da ihr gerade die Miles Stones erwähnt habt. Welche Schritte stehen euch in den nächsten Wochen und Monaten bevor?
Lennard Kenneth Shopperly: Das Projekt ist eigentlich dreigeteilt. Zuerst die Wirkstofftestung in vitro und dann das Release System in vitro. Am Ende soll beides miteinander kombiniert werden, quasi in einem ersten Prototyp, den es nach einem Jahr geben sollte. Der dritte Teil ist dann eben die Regulatorik und die Schärfung der Produktidee bzw. der Design-Anforderungen: Ob man für eine Folgeförderung bereits konkrete Anhaltspunkte dafür hat, wie es regulatorisch weitergehen kann und wie das Produkt aussehen soll, besonders in Bezug auf den Wirkstoff.
Jacob Spinnen: Die IP ist für das, was wir planen, natürlich kein unwichtiger Faktor. Sehr wichtig ist hier, das Projekt von hinten zu denken und zu schauen, wie wir das mit der IP kombinieren können, die Lennard und ich bereits für ein anderes Projekt über die Charité eingereicht haben. Am Ende des Tages wird es sich vermutlich um ein Kombinationsprodukt der Klasse 3 entwickeltes Device handeln, vielleicht sogar um ein Arzneimittel, also ein sehr komplexes Produkt.
Wir werden hier von einer achtstelligen Summe an Entwicklungskosten ausgehen müssen. Das bedeutet, dass wir die Produktion und den Vertrieb mit Sicherheit nicht selbst übernehmen können. Es wird also irgendwann ein Investor übernehmen müssen. Ein Investor wiederum interessiert sich sehr für IP. Das lernt man aber erst, wenn man länger im SPARK-BIH Programm ist, dass man diese Sachen eben von hinten denken muss und nicht fertig ist, wenn das Ding funktioniert, sondern dann kommen erst die großen Fragen. Viele Produkte scheitern genau daran, dass es nicht von hinten gedacht wird.
Wir haben jetzt sehr viel über Produktentwicklung gesprochen. Habt ihr euch zu Beginn eures Studiums bereits gedacht, dass ihr später ein Startup gründen würdet? Was hat euch dazu bewogen in Richtung Produktentwicklung zu gehen?
Jacob Spinnen: Das hat bei mir zwei Gründe. Erstmal habe ich nach dem Medizinstudium entschieden, dass ich Chirurg werden möchte. Lösungsorientierte Forschung liegt mir da eher alias There is a fracture and I need to fix it [lacht].Der zweite Grund war meine Doktorarbeit bei Dr. Sittinger, der selbst translatorisch unterwegs ist und damals autologe Knorpelzelltransplantation erforscht hat. Wann immer ich ihn fragte, ob ich dieses oder jenes machen dürfe, meinte er, ja, aber immer mit dem Gedanken dahinter, was man denn eigentlich daraus machen könnte. Ich habe sowohl eine wissenschaftliche Erziehung dazu bekommen als auch so ein bisschen eine Veranlagung. Die translationale Vorprägung in meiner Doktorarbeit ist meines Erachtens eher die Ausnahme. Ich habe Wissenschaft so nicht kennengelernt an der Charité. Das generelle Konzept war weniger ein denk‘ dran wie du es anwendbar machen könntest, sondern eher ein cooles Konzept zu erfinden und sich dann zurückzuziehen.
Lennard Kenneth Shopperly: Ich habe ebenfalls Herrn Professor Sittinger kennengelernt, weil ich meine Bachelorarbeit bei ihm geschrieben habe und Jacob gleichzeitig seinen PhD. Da habe ich solche Aspekte auch mitbekommen. Zuerst hat natürlich die Wissenschaft mein Interesse geweckt. Es macht durchaus Spaß, sich in Probleme länger und tiefgehender reinzudenken. Aber irgendwann hat sich mir die Frage gestellt, welchen Impact die reine Grundlagenforschung hat. Ich habe mich daraufhin bewusst dazu entschieden, dass ich mit meiner Arbeit einen konkreten Einfluss auf das Patientenwohl haben und deswegen translational arbeiten möchte. Und wenn man sich bewusst dafür entscheidet, dann ändert sich auf einmal die Herangehensweise.
Philippa Seika: In der Klinik und insbesondere in der Chirurgie ist man häufig Endanwender von vieler verschiedener Produkte und Medikamente. Eigentlich ist man genauso Nutzer wie alle anderen. Diese Produkte werden häufig durch Industrie oder in der Grundlagenwissenschaft entwickelt mit begrenztem Bezug zum klinischen Alltag. In der universitären Medizin hat man zum Glück noch ein bisschen mehr Kontakt dazu, durch Beteiligung an Forschung und klinischen Trials. Aber schlussendlich steht man als behandelnde Ärztin seinen Patient*innen gegenüber allein in der Verantwortung für das Ergebnis der Operation. Mein Ziel ist es, dass es meinen Patient*innen nach einer Operation so gut wie möglich geht, also sehe ich das irgendwo auch alles als mein Anwendungsbereich. Wenn ich es am Ende verantworte, dann will ich auch wissen, wo die Produkte herkommen, was deren Entwicklung ist, ob das wirklich das beste Produkt ist, oder ob man es selbst irgendwie noch besser machen könnte. Wenn man so nahe am Patienten dran ist, dann sieht man auch, was es teilweise für ein Leid mit sich zieht, wenn Komplikationen auftreten. Dadurch war mein persönlicher Anspruch geweckt, dass ich an jedem Teil dieser Kette auch etwas zu sagen haben möchte, meine eigenen Ideen einbringen möchte und eben nicht nur ein Endanwender eines Produktes, das irgendwo herkommt, sein möchte.
Christian Denecke: Wenn etwas kommt, was man konkret in die Hand nehmen kann, geht man einen Riesenweg in kurzer Zeit. Das ist spannend. Ich habe früher auch Grundlagenforschung gemacht, die aber nicht immer einen Impact in der Klinik hat. Und hier kann ich etwas herausfinden, das ich in die Hand nehmen kann, mit dem ich konkret etwas machen kann und es hat trotzdem auch Inhalte der Grundlagenforschung.
Wer steht hinter dem Projekt?
Dr. med. Philippa Seika ist Assistenzärztin in Weiterbildung für Viszeralchirurgie mit einem Schwerpunkt auf oberer gastrointestinaler Onkologie und robotischer Chirurgie. Ihre klinische Tätigkeit verbindet sie mit translationaler Forschung zu regenerativen Biomaterialien und neuro-immunologischen Therapiestrategien bei gastrointestinalen Tumoren. Im Rahmen eines Postdocs im Labor von Prof. Subhash Kulkarni und Prof. Leo Otterbein an der Harvard Medical School forschte sie unter anderem zur Rolle des enterischen Nervensystems und der Häm-Metabolite in der Tumorbiologie. Ihre aktuellen Projekte, darunter ein SPARK-BIH-gefördertes Vorhaben, schlagen eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung.
Prof. Dr. med. Christian Denecke ist stellvertretender Direktor der Klinik für Chirurgie und Leiter der Sektion für obere gastrointestinale Chirurgie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Seine klinische und wissenschaftliche Expertise liegt in der Chirurgie von Speiseröhren- und Magenkarzinomen. In seiner translational ausgerichteten Forschung verknüpft er chirurgische Innovationen mit molekularen und systemmedizinischen Ansätzen zur Optimierung perioperativer Ergebnisse. Er hat maßgeblich zur Entwicklung und klinischen Umsetzung robotisch assistierter Verfahren bei Ösophagus- und Magenresektionen beigetragen und engagiert sich für strukturierte Trainingskonzepte sowie Optimierung von ERAS-Protokollen bei komplexen onkologischen Eingriffen.
Jacob Spinnen, M.D./Ph.D., ist Assistenzarzt in Weiterbildung an der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie. Er ist ärztlicher Laborleiter im BioReconstruction Lab an der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am Campus Benjamin Franklin der Charité. Seine Tätigkeit im OP verbindet er mit translationaler Forschung zur Entwicklung innovativer medizinischer Implantate zur Behandlung segmentaler Gewebedefekte. Als Charité Junior Clinician Scientist leitet er verschiedene Transfer Projekte die Herausforderung aus der operativen Versorgung schwerstverletzter lösen sollen.
Lennard Kenneth Shopperly, M.Sc., promoviert zurzeit zum Thema der kontrollierten Wirkstofffreisetzung aus additiv gefertigten Biomaterialien. Er ist wissenschaftlicher Laborleiter im BioReconstruction Lab an der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am Campus Benjamin Franklin der Charité. Seine umfassenden Kenntnisse in der Verkapselung und kontrollierten Freisetzung von Wirkstoffen in Biopolymeren und seine Kenntnisse von 3D-Drucktechnologien für biomedizinische Anwendungen bringt er in diverse translationale Projekte mit ein.