Genetik/Genomik
Hypertension und molekulare Biologie endokriner Tumore
Ute Scholl
Weltweit leiden mehr als 1 Milliarde Menschen unter Bluthochdruck. Als führender Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen trägt Hypertonie zu jährlich mehr als 9 Millionen Todesfällen bei. An der BIH Johanna Quandt Professur für Hypertension und molekulare Biologie endokriner Tumore verfolgen wir das Ziel, neue Mechanismen der Krankheitsentstehung zu entdecken und zu charakterisieren. Unser Schwerpunkt liegt im Bereich genetischer Ursachen für Bluthochdruck im Kindesalter sowie durch hormonbildende Tumoren verursachte Formen der Hypertonie. Wir verwenden moderne Genomanalyse (Exomsequenzierung, Einzelzell-RNA-Sequenzierung) sowie klassische Techniken der Genetik, Physiologie (Elektrophysiologie, Calcium-Imaging), Molekularbiologie und Biochemie. Längerfristig möchten wir pharmakologische Ansätze entwickeln, die an den identifizierten Genprodukten ansetzen, um die Diagnose und Behandlung von Patienten zu verbessern.
Forschungsschwerpunkte
Mutationen bei Patienten mit primärem Hyperaldosteronismus
Patienten mit primärem Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom) zeigen erhöhte Spiegel des Blutdruckhormons Aldosteron. Etwa 6% der Patienten mit Bluthochdruck sind von dieser Erkrankung betroffen. Die beiden häufigsten Ursachen sind einerseits ein gutartiger, Aldosteron-bildender Tumor einer der beiden Nebennieren (Aldostesteron-produzierendes Adenom) und andererseits eine vermehrte Aldosteronbildung beider Nebennieren (bilaterale Hyperplasie).
In den vergangenen Jahren konnten mit Hilfe von Exomsequenzierungsstudien tumorspezifische (somatische) Mutationen in Ionenkanälen und -transportern als häufige Ursache von Aldosteron-produzierenden Adenomen identifiziert werden (Seidel et al. Exp Mol Med 2019). So tragen ca. 40% dieser Tumore Mutationen im Kaliumkanal KCNJ5 (Choi et al. Science 2011), weitere 20% haben Mutationen im spannungsgesteuerten Calciumkanal CACNA1D (Scholl et al. Nature Genetics 2013), und ca. 20% haben Mutationen in einer Untereinheit der Na+/K+-ATPase (ATP1A1) oder der Ca2+-ATPase ATP2B3 (Beuschlein et al. Nature Genetics 2013, Azizan et al. Nature Genetics 2013).
KCNJ5-Mutationen verursachen eine Natriumpermeabilität des Kaliumkanals, die zu einer Depolarisation der Aldosteron-produzierenden Zellen sowie einer Aktivierung spannungsgesteuerter Calciumkanäle führt. Der daraus resultierende Calciumeinstrom führt zu einer erhöhten Aldosteronproduktion und Proliferation. CACNA1D-Mutationen verursachen direkt einen erhöhten Calciumeinstrom, während der Pathomechanismus der ATPasen-Mutationen vermutlich eine kanalartige Permeabilität für Natrium oder Protonen ist, ähnlich wie bei KCNJ5.
Die gleichen oder ähnliche Mutationen im KCNJ5-Gen wie auch in Tumoren treten als Keimbahnmutationen auch bei Patienten mit familiärem Hyperaldosteronismus auf (Choi et al. Science 2011, Scholl et al. PNAS 2012). Keimbahnmutationen im CACNA1D-Gen konnten wir bei 2 Patienten mit Primärem Hyperaldosteronismus, Epilepsie und neurologischen Auffälligkeiten identifizieren (PASNA-Syndrom, Scholl et al. Nature Genetics 2013). Eine Keimbahnmutation im spannungsgesteuerten Calciumkanal CACNA1H liegt bei Patienten mit primärem Hyperaldosteronismus im Kindesalter vor (Scholl et al. eLIFE 2015, Seidel et al. PNAS 2021). Elektrophysiologisch verursacht diese Mutation eine verminderte Inaktivierung des Kanals sowie eine Verschiebung der Aktivierung zu weniger depolarisierten Membranpotentialen. Schließlich konnten wir zeigen, dass Mutationen im Gen CLCN2 ebenfalls zu einem familiären Hyperaldosteronismus führen (Scholl et al. Nature Genetics 2018, Schewe et al. Nature Communications 2019). Dieses Gen codiert für einen Chloridkanal, dessen Aktivierung zu einer Depolarisation der Zelle führt.
In aktuellen Projekten beschäftigen wir uns mit Familien ohne Mutationen in den bekannten Hyperaldosteronismus-Genen und versuchen, die Entwicklung, Regulation und Funktion der Nebennierenrinde besser zu verstehen. Wir entwickeln und charakterisieren zelluläre und Tiermodelle des primären Hyperaldosteronismus.
Mutationen in anderen hormonproduzierenden Tumoren
Wir untersuchen hormonproduzierende Tumoren unterschiedlichen Ursprungs mit dem Ziel, bekannte oder neue krankheitsverursachende Mutationen zu entdecken oder deren Pathophysiologie besser zu verstehen.
Pharmakologie von Nebennierenerkrankungen
Wir konnten zeigen, dass Makrolide, die klinisch als Antibiotika eingesetzt werden, spezifisch mutierte KCNJ5-Kanäle hemmen (Scholl et al. Journal of Clinical Investigation 2017). Dieser Effekt ist unabhängig von der antibiotischen Wirksamkeit von Makroliden, so dass wir hoffen, diese Substanzen weiterentwickeln und für Diagnostik und Therapie von Nebennierenadenomen nutzbar machen zu können.
