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Publikation

*Vollmer T et al., The intratumoral CXCR3 chemokine system is predictive of chemotherapy response in human bladder cancer. Sci Transl Med 2021 Jan 13. doi: 10.1126/scitranslmed.abb3735

Bei Patient*innen mit Blasenkrebs trägt die körpereigene Bekämpfung des Tumors durch das Immunsystem zur Wirksamkeit einer Chemotherapie bei. Das berichtet ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Berlin Institute of Health (BIH) im Paper of the month im Januar 2021, das im Fachmagazin Science Translational Medicine* erschienen ist. Diese Erkenntnis lässt sich für eine Vorhersage des Therapieerfolgs nutzen und könnte die Überlebenschancen von Betroffenen in Zukunft erhöhen.

Interview

Seltmann: Herr Schmück-Henneresse, Herr Vollmer, in Ihrem preisgekrönten Paper geht es um die Vorhersage, ob bei einem Tumor die Chemotherapie voraussichtlich wirkt. Worauf beruht dieses Vorhersagesystem?

Schmück-Henneresse: Im Prinzip beruht die Früherkennung auf einem sogenannter Chemokinrezeptor. Dieser Chemokinrezeptor heißt CXCR3 und sitzt auf der Oberfläche von bestimmten Immunzellen. CXCR3 hat die Funktion, T-Zellen zu dirigieren, wohin sie sollen, zum Beispiel an den Ort der Infektion oder eben in unserem Fall in den Tumor. Das funktioniert nur, wenn der Tumor auch die entsprechenden Botenstoffe, die Chemokine, produziert.

Seltmann: Als Beispiel haben Sie den Blasenkrebs gewählt? Warum?

Vollmer: Blasenkrebs gehört zu den zehn häufigsten Tumorarten und tritt besonders im hohen Alter auf. Zum einen besteht die Notwendigkeit, neue Therapien für den Blasenkrebs zu entwickeln. Zum anderen besitzt Blasenkrebs viele Merkmale einer immunologischen Erkrankung. Das wird in Studien ersichtlich, die zeigen, dass Patienten mit einem guten Immunstatus eine bessere Prognose haben. Eine wichtige Frage war für uns: Wie kann man das umsetzen für die Klinik?

Seltmann: Was bedeutet ein „guter Immunstatus“? Dass viele Immunzellen im Tumor sind?

Vollmer: Genau. Zusammengefasst haben wir haben erst untersucht, wie sich Immunzellen in-vitro bewegen und haben das auf Tumorpatienten angewandt. Hier konnten wir Ergebnisse aus früheren Studien bestätigen: Patienten mit einer hohen Anzahl Tumor-infiltrierender T-Zellen sprechen besser auf die Therapie an. Im nächsten Schritt verknüpfen wir diese T-Zellen mit einem Chemokinsystem und können dieses für den Patienten auf zwei Marker reduzieren, die man im Tumor messen kann. Beide Marker haben eine Bedeutung in Bezug auf die Therapie, die die Patienten erhalten.

Seltmann: Und diese Marker hängen mit dem Chemokinsystem zusammen?

Schmück-Henneresse: Das ist unsere Theorie, ja. Wir haben nicht nur im Tumor geschaut, sondern auch in den Lymphknoten, die unmittelbar neben dem Tumor sind. Diese heißen Wächterlymphknoten. Dort haben wir frühdifferenzierte T-Zellen nachweisen können, die den CXCR3-Rezeptor tragen. Spannend ist, dass ein spezifischer Bindungspartner, ein Chemokin, auch im Tumor vorhanden war. In-vitro konnten wir zeigen, dass beide Partner besonders stark miteinander interagieren. Unsere angewandten mathematischen Modelle haben schließlich gezeigt, dass Patienten mit einem aktivem Chemokinsystem ein gutes Ansprechen auf die Chemotherapie hatten.

Seltmann: Können Sie das erklären? Was machen denn die T-Zellen, wenn die Chemotherapie kommt?

Schmück-Henneresse: Das hat uns auch verblüfft. Wenn wir dieses Chemokinsystem anspielen, aktiviert es die T-Zellen. Das ist etwas Neues und könnte im Tumor unterstützend wirken. Es ist bekannt, dass die Chemotherapie als primäres Ziel hat, schnell wachsende Zellen abzutöten. Unsere Daten unterstützen nun einen komplementären Aspekt: Chemotherapie kann auch die Immunogenität des Tumors erhöhen.

Vollmer: Dabei weist unsere Arbeit speziell auf einen indirekten T-Zell stimulierenden Effekt der Chemotherapie hin. Wir konnten nachweisen, dass in Fresszellen (sogenannten Makrophagen) die stimulierenden Chemokine vorhanden waren. Diese könnten ebenso eine wichtige Rollte bei der Aktivierung der T-Zellen spielen und somit für die Wirkung der Chemotherapie wichtig sein. Letztlich wirft unsere Arbeit den Gedanken auf, dass wir bei der Chemotherapie auch die Frage der Immunaktivierung mitdiskutieren sollten. Nicht zuletzt impliziert dies, dass eine Chemotherapie in bestimmten Situationen potentiell auch in niedrigen Dosen Immunzellen aktiviert. Für die Anwendung der Chemotherapie allgemein wäre dies von enormer Bedeutung.

Seltmann: Und dann könnte man eben annehmen, dass die Chemotherapie deshalb besser wirkt, weil ihr das Immunsystem hilft….

Schmück-Henneresse: Ganz genau.

Seltmann: Warum ist es eigentlich so wichtig, dass man vorhersagen kann, ob die Chemotherapie wirkt oder nicht?

Schmück-Henneresse: Bei Blasenkrebs sprechen ca. 50 Prozent der Patienten nicht auf die Chemotherapie an und verlieren dadurch wertvolle Zeit, in der man andere Therapien anwenden, oder auch direkt die Blase chirurgisch entfernen könnte. Der Vorteil an unserem Ansatz wäre also, dass man den Menschen, die voraussichtlich nicht ansprechen, andere Therapien anbietet.

Seltmann: Das heißt, Ihre Idee für die Zukunft wäre, dass man bei einem Blasentumor eine Biopsie nimmt, prüft, wie viel Immunzellen drin sind und sagt: Chemotherapie ja, Chemotherapie nein?

Vollmer: Es sind zwei Variablen, die wir im Tumor messen: sowohl der Chemokinrezeptor als auch das Chemokin selbst. Aus beiden leitet sich eine synergistische Aussage für die Klinik ab, die wir bei 20 Patienten nachweisen konnten. Bei dieser Patientenanzahl lässt sich also noch keine endgültige Aussage über die finale Anwendung treffen.

Seltmann: Und kann das Vorhersagetool später auch auf andere Tumorarten angewendet werden?

Schmück-Henneresse: Wir versuchen, das Ganze zu validieren, jetzt erst mal in Tumoren von Blasenkrebspatienten; im nächsten Schritt von Patienten mit Lungentumoren und Pankreas- sowie Leberkarzinom.

Seltmann: Ganz vielen Dank für Ihre spannenden Einsichten. Und alles Gute für Ihre weitere Arbeit!

Link zur Arbeit: *Vollmer T et al., The intratumoral CXCR3 chemokine system is predictive of chemotherapy response in human bladder cancer. Sci Transl Med 2021 Jan 13. doi: 10.1126/scitranslmed.abb3735

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