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Prof. Dr. Katy Börner verbindet Anatomie und Krankheit mit dem Multiscale Human Reference Atlas

Das Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) freut sich, Prof. Dr. Katy Börner als neue Visiting Fellow begrüßen zu dürfen. Die international anerkannte Wissenschaftlerin ist seit Juni 2025 im Rahmen des von der Stiftung Charité geförderten Programms „Visiting Fellow“ für drei Jahre am BIH tätig. Ihr Projekt „Multiscale Human Reference Atlas – An Ontological Bridge Between Anatomy And Disease“ zielt darauf ab, die detaillierte anatomische Kartierung des Human Reference Atlas (HRA) mit der Human Phenotype Ontology (HPO), die Erkrankungsphänotypen beschreibt und von BIH-Professor Peter Robinson geleitet wird, zu verbinden. Damit schafft Börner eine systematische, mehrskalige digitale Karte des menschlichen Körpers, die hilft, den Zusammenhang zwischen gesunden anatomischen Strukturen und Krankheitsveränderungen besser zu verstehen und so die Forschung, Diagnose und Entwicklung personalisierter Therapien zu fördern.

Warum haben Sie sich für das Berlin Institute of Health an der Charité (BIH) entschieden und worum geht es in Ihrem Projekt?
Der Human Reference (HRA) ist ein mehrskaliger, multimodaler, dreidimensionaler Atlas der anatomischen Strukturen und Zellen im gesunden menschlichen Körper [1,2]. Der HRA bietet Standardterminologien und Datenstrukturen zur Beschreibung von Proben, biologischen Strukturen und räumlichen Positionen, die mit bestehenden Ontologien verknüpft sind. Das zugehörige Common Coordinate Framework (CCF) – vergleichbar mit dem Längen- und Breitengradsystem der Erde – unterstützt die Datensammlung über verschiedene Maßstäbe und Demografien hinweg. Mehr als 25 Konsortien aus aller Welt tragen zum HRA bei.
Die Förderung durch die Stiftung Charité wird es ermöglichen, den HRA und die Wissensgraphen der HPO miteinander zu verknüpfen, um neue erweiterte Funktionen für beide Projekte zu unterstützen.
Damit wird eine Brücke zwischen detaillierten anatomischen Referenzdaten und phänotypischen Informationen bei Erkrankungen konstruiert. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Erforschung der Ursachen von Krankheiten, die Verbesserung von Diagnoseverfahren und die Entwicklung personalisierter Therapien. Die Verknüpfung macht es möglich, räumlich präzise anatomische Daten mit standardisierten Krankheitsmerkmalen zusammenzuführen und so komplexe biologische Zusammenhänge besser zu verstehen.
Das Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité ist für dieses Vorhaben besonders geeignet, weil es an der Schnittstelle von biomedizinischer Grundlagenforschung, klinischer Anwendung und digitaler Innovation arbeitet.
Was sind die Herausforderungen beim Aufbau interdisziplinärer Brücken zwischen Informatik, Medizin und Biologie?
Verschieden Disziplinen nutzen verschiedene Fachausdrücke, Kulturen und Wertesysteme. Am Intelligent Systems Engineering Department in der Indiana University setzen wir auf Renaissance-Engineering – eine enge Verzahnung von Kunst, Wissenschaft und Technik –, inspiriert von Leonardo da Vinci und anderen, die einen interdisziplinären Ansatz zur Problemlösung verfolgten. Für den Human Reference Atlas organisieren wir monatliche Arbeitsgruppentreffen, um verschiedene Experten (z. B. Chirurg*innen, Patholog*innen, Anatom*innen, Einzelzellforscher*innen, Ontologie-Expert*inne, Informatiker*innen, Ingenieur*innen) zusammenzubringen, um Benutzeranforderungen, technologische Fortschritte, neuartige Methoden, Daten und Werkzeuge zu diskutieren und sich gemeinsam auf den besten Prozess zur Erstellung und Nutzung des sich weiterentwickelnden HRA zu einigen. Der Atlas richtet sich an Forschende, Lehrende, Studierende, Medizinerinnen sowie Entscheidungsträgerinnen, die biomedizinische Daten verstehen, vergleichen und in Forschung, Klinik oder Ausbildung anwenden wollen. Am 5. November 2025 findet die 68. offene Sitzung statt. Alle Expert*innen sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen. Bitte registrieren Sie sich hier, um eine Einladung mit weiteren Informationen zu erhalten.
Warum ist die Visualisierung komplexer biomedizinischer Daten für die Forschung, die klinische Praxis und die Öffentlichkeit wichtig?
Die menschliche Physiologie entfaltet sich über räumliche und zeitliche Skalen in drei Dimensionen. Die folgende Abbildung veranschaulicht die mehrskalige, dreidimensionale Natur des HRA – vom gesamten Körper (Makro) über funktionelle Gewebeeinheiten (Nierenkörperchen in der Niere, Meso) bis hin zu Proteinen und Genen (Mikro).
Um diese mehrskalige Komplexität zur Unterstützung der Präzisionsmedizin und Präzisionsgesundheit abzubilden und zu modellieren, ist es wichtig, Daten und Codes von höchster Qualität sowie das Fachwissen der globalen Forschungsgemeinschaft zu nutzen. So kann ein menschlicher Referenzatlas entstehen, der die menschliche Vielfalt angemessen repräsentiert und für die biomedizinische Forschung und klinische Praxis von größtmöglichem Nutzen ist. Datenvisualisierungen ermöglichen es, Daten über verschiedene Skalen hinweg zu untersuchen, Erkenntnisse über Fachgrenzen hinweg zu kommunizieren und wissenschaftliche Fortschritte mit einem breiten Publikum zu teilen.
Wie gestaltet sich der Dialog mit Kliniken, öffentlichen Einrichtungen und der Bevölkerung innerhalb Ihres Projekts?
Kliniker*innen, Patholog*innen, Chirurg*innen und andere klinische Expert*innen leisten einen wichtigen Beitrag zur Erstellung und Nutzung von menschlichen Atlanten. Öffentliche Veranstaltungen wie persönliche Präsentationen in Bibliotheken oder Wissenschaftsmuseen oder virtuelle Präsentationen in Online-Veranstaltungen wie dem 24-Stunden langen „Human Reference Atlas Event” im Jahr 2022 oder dem „Multiscale Human Event” im Jahr 2024 stellen die HRA-Initiative anhand von unterhaltsamen Vorträgen, Videos mit Einblicken hinter die Kulissen und interaktiven Tool-Demonstrationen vor. Sie zielen darauf ab, die Freude an wissenschaftlichen Entdeckungen zu teilen, Begeisterung für die Kraft und den Wert der Wissenschaft zu wecken und andere zu inspirieren, sich dem HRA-Projekt anzuschließen und/oder es zu unterstützen.
Wie profitieren Patient*innen von Ihrer Forschung?
Mit Hilfe des HRA lässt sich untersuchen, wie sich Zellpopulationen (d. h. die Anzahl und Art der Zellen) in verschiedenen Geweben im Laufe des Alterungsprozesses oder bei Ausbruch einer Krankheit verändern. Krankheiten verändern häufig die lokalen Zellnachbarschaften, d. h. welche Zellen sich in der Nähe welcher anderen Zelltypen befinden. Ein Beispiel für die Lunge wurde kürzlich in einem Artikel in Nature Methods [2] veröffentlicht und ist hier wiedergegeben.
Die Abbildung vergleicht die Verteilung von Parenchymzellen, darunter Endothel-, Epithel- und Muskelzellen, aus denen die Blutgefäße, Atemwege und gasaustauschenden funktionellen Lungenstrukturen bestehen, sowie residenten Immunzellen, darunter Makrophagen, mit dem lokalen Gefäßsystem (genannt VCCF-Vis) unter Verwendung des Cell Distance Explorer Werkzeugs. Die Daten für gesundes Gewebe werden oben und die für krankes Gewebe unten angezeigt. Die Multiplex-Immunfluoreszenz-Bilder zeigen Bronchiolen (br) und eine dazugehörige kleine Lungenarterie (pa). Die Maßstäbe sind in Weiß für 5 mm, in Rot für 200 µm und in Gelb für 100 µm dargestellt. Die Zellabstandsverteilungsdiagramme auf der rechten Seite zeigen gesunde Lunge (oben) und erkrankte BPD-Lunge (unten). Das Violinendiagramm (Mitte) vergleicht die Abstandsverteilungen für Zelltypen, die in beiden Datensätzen häufig vorkommen.
Das Cell Distance Explorer Werkzeug ist frei verfügbar und wurde bereits benutzt, um Abstände zwischen verschiedenen Zelltypen systematisch zu quantifizieren und sichtbar zu machen. Damit lassen sich Veränderungen in Zellnachbarschaften und Gewebeorganisation, z. B. durch Alterung oder Krankheiten, detailliert analysieren.
Talking Biography
Am 16. Oktober wird Prof. Börner eine Networking-Veranstaltung zu den Themen Karriereplanung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch zu Erfolgsmomenten und Herausforderungen auf dem Karriereweg leiten. Die Veranstaltung richtet sich an weibliche, trans*, inter* oder nicht-binäre Forschende, die sich zu Beginn oder in der Mitte ihrer wissenschaftlichen Karriere befinden. Hier erfahren Sie, wie Sie sich anmelden können.
Publikationen
- Börner, Katy, Sarah A. Teichmann, Ellen M. Quardokus, et al. 2021. "Anatomical structures, cell types and biomarkers of the Human Reference Atlas". Nature Cell Biology 23: 1117-1128. doi: 10.1038/s41556-021-00788-6.
- Börner, Katy, Philip Blood, Jonathan C. Silverstein, et al. 2025. "Human BioMolecular Atlas Program (HuBMAP): 3D Human Reference Atlas Construction and Usage". Nature Methods 22: 845–860. doi: 10.1038/s41592-024-02563-5.