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Gegen Viren schützen nicht nur Antikörper: Schon viel früher erspüren infizierte Zellen mit Hilfe von Sensoren in ihrem Inneren Bestandteile des Virus und lösen daraufhin eine Immunantwort aus. Diese ist ein Element der so genannten angeborenen Immunität und verhindert, dass sich die Viren weiter ausbreiten. In einer aktuellen Studie zeigen nun Wissenschaftler*innen vom Berlin Institute of Health (BIH) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dass das AIDS-Virus HIV-1 dank einer ausgeklügelten Vermehrungsstrategie nur minimale Aufmerksamkeit in infizierten Zellen erregt, so dass die Infektion zumindest in T-Zellen, die selbst Bestandteil des Immunsystems sind, weitgehend unbemerkt abläuft. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler*innen nun in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.

Das Erbgut der Zelle in Form von DNA ist normalerweise ausschließlich im Zellkern und in den Kraftwerken der Zelle, den Mitochondrien, zu finden. Befindet sich DNA außerhalb dieser normalen Aufenthaltsorte, etwa im Zytoplasma, ist das für die Zelle ein Alarmsignal: Denn DNA kommt im Zytoplasma nur dann vor, wenn die Zelle zu einer Tumorzelle entartet oder wenn sich ein Virus in sie eingeschmuggelt hat. In beiden Fällen ist es für den Körper das Beste, wenn die Zelle vernichtet wird, um eine Ausbreitung des unheilvollen Geschehens zu verhindern.

Hier kommt das Enzym cGAS ins Spiel: die zyklische GMP-AMP Synthase bindet an die DNA im Zytoplasma, was eine Signalkaskade auslöst, die in der Produktion antiviraler Proteine mündet und schließlich eine Immunantwort auslöst. Während einer Infektion mit DNA-Viren, z.B. Herpesviren, oder HI-Viren, welche ihr RNA-Genom in DNA umschreiben, gelangt ein Teil der viralen DNA aus dem Viruspartikel in das Zytoplasma der Zelle und trifft dort auf den DNA Sensor cGAS, was zur Immunantwort führt. Dieser zelluläre Verteidigungsmechanismus wurde bereits in zahlreichen Studien für die Verteidigung gegen unterschiedliche DNA-Viren nachgewiesen. Leider haben die meisten DNA-Viren spezielle Antagonisten entwickelt, deren Aufgabe es ist, die Effektivität von cGAS zu mindern.

AIDS-Virus entzieht sich Zellkontrolle

Das AIDS-Virus HIV-1, welches zu den Retroviren gehört, besitzt ein RNA-Genom, das es in infizierten Zellen vorübergehend in DNA umwandelt. Diese DNA integriert in die DNA der Wirtszelle und sichert damit das quasi unendliche Fortbestehen der viralen Erbinformation. Es war lange umstritten, ob dieses DNA-Intermediat von cGAS erkannt wird und zu einer antiviralen Immunantwort führen kann. Denn es wird pro Infektion nur eine einzige DNA-Kopie hergestellt und diese wird schnell in den Zellkern importiert. In der aktuellen Studie zeigt die Arbeitsgruppe von Christine Goffinet in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen u.a. von der Medizinischen Hochschule Hannover und des TWINCORE, dass HIV-1 sich der Erkennung durch dieses Enzym in T-Zellen, den wichtigsten Zielzellen von HIV-1 in vivo, entzieht. T-Zellen gehören zum Immunsystem und sind für die Auslösung einer wirksamen Immunantwort unverzichtbar.

Julia Kazmierski, Co-Autorin der aktuellen Studie, brachte T-Zellen mit  HIV-1-Viren in der Kulturschale zusammen. „Wir haben festgestellt, dass die  Produktion des DNA-Intermediats in infizierten Zellen weder eine messbare cGAS-abhängige Reaktion noch eine nennenswerte Immunantwort ausgelöst hat. Selbst als wir die Virushülle experimentell destabilisiert haben, wodurch verstärkt virale DNA in das Zytoplasma infizierter Zellen entweichen konnte, löste das keine messbare Immunantwort aus.“ Dagegen reagierten dieselben T-Zellen mit einer starken, cGAS-abhängigen Immunantwort auf eine Infektion mit einem anderen DNA-Virus, dem HSV-1. Die Forscher*innen vermuten, dass die vergleichsweise kurze HIV-1 DNA in nicht ausreichender Menge und nicht lange genug im Zytoplasma vorliegt, um von cGAS erkannt zu werden. 

Resistenzen gegen verfügbare AIDS-Medikamente

Die Immunschwächekrankheit AIDS, die durch das HI-Virus ausgelöst wird, kann in den meisten Fällen sehr gut mit antiretroviralen Medikamenten behandelt werden. Betroffene haben daher eine fast normale Lebenserwartung, wenn die Therapie früh nach der Infektion gestartet wird. Dennoch kommt es immer wieder zu Resistenzen, so dass Wissenschaftler*innen wie Christine Goffinet nach wie vor nach neuen Achillesfersen des Virus fahnden. „Wir hatten eigentlich gehofft, dass wir das sehr effektive cGAS-System für eine immunmodulatorische Therapie gegen HIV-1 nutzen können“, sagt Christine Goffinet. „Unsere Ergebnisse lassen dies leider nicht erwarten. Ganz im Gegenteil zeigt uns unsere Studie einmal mehr, wie heimtückisch das AIDS-Virus immer wieder alle Gegenstrategien unseres Immunsystems unterläuft!“

Dennoch werden die Wissenschaftler*innen um Christine Goffinet ihren Kampf gegen das AIDS-Virus natürlich nicht aufgeben, sondern weiter nach erfolgversprechenden Angriffspunkten von HIV-1 fahnden, auch und gerade in Corona-Zeiten. „Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, die Forschung an verschiedenen Krankheitserregern weiter voranzutreiben. So ist gerade jetzt eine Verbesserung der HIV-1 Therapie und das Entwickeln eines Impfstoffs gegen die HIV-1-Infektion wichtiger denn je. Je mehr wir über verschiedene Viren wissen, desto besser sind wir auf eine nächste Pandemie vorbereitet.“

Absence of cGAS-Mediated Type I IFN Responses in HIV-1-Infected T-Cells

Carina Elsner, Aparna Ponnurangam, Julia Kazmierski, Thomas Zillinger, Jenny Jansen, Daniel Todt, Katinka Döhner, Shuting Xu, Aurélie Ducroux, Nils Kriedemann, Angelina Malassa, Pia-Katharina Larsen, Gunther Hartmann, Winfried Barchet, Eike Steinmann, Ulrich Kalinke, Beate Sodeik, and Christine Goffinet; Proc. Natl. Acad. Sci., 2020, epub ahead of print: https://www.pnas.org/content/early/2020/07/23/2002481117

Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG-Schwerpunktprogramm 1923, Innate Sensing and Restriction of Retroviruses) und vom BIH finanziert.

Kontakt

Dr. Stefanie Seltmann
Leiterin Kommunikation & Marketing
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