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Das BIH Charité Clinician Scientist Programm ist ein moderner Karriereweg in der Universitätsmedizin, der forschungsaktiven Ärzt*innen eine kompetenzbasierte Facharztweiterbildung mit vertraglich reguliertem Anteil an Arbeitszeit („protected time“) für klinische und translationale Forschung gewährleistet. Es nimmt eine Vorreiterrolle für strukturierte Clinician Scientist Programme ein und wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 2015 als „best practice-Modell“ ausgewiesen. Das Programm startete 2011 mit acht Geförderten und ist heute das nicht nur mit Abstand größte Clinician Scientist Programm in Deutschland (über 140 aktive Fellows und 150 Alumni), sondern setzt auch bundesweit Standards – vor allem in Bezug auf die Ausgestaltung und Maßnahmen zur Qualitätssicherung, darunter z. B. das zweistufige Auswahlverfahren, formalisierte Zielvereinbarungsgespräche, strukturierte Berichtslegung über ein Online-Portal sowie regelmäßige Feedbackgespräche. Ein wesentliches Kennzeichen des Berliner Programms ist die kontinuierliche Weiterentwicklung in enger Interaktion mit den Geförderten. Die vorliegende sozialwissenschaftliche Evaluation anlässlich des zehnjährigen Programmbestehens stellt eine externe Qualitätssicherungsmaßnahme dar, welche die Herausforderungen in der Weiterbildung von Clinician Scientists hervorhebt.

Die umfassende Programmevaluation wurde von der im Dezember 2020 viel zu früh verstorbenen Professorin Dr. med. Duška Dragun, Direktorin der BIH Biomedical Innovation Academy (BIA) und Direktorin des BIH Charité Clinician Scientist Programms, initiiert und durch das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Kooperation mit der BIA durchgeführt (Laufzeit der Evaluation: Juni 2019 bis März 2021). Die Evaluation umfasst die Erfahrungen und Perspektiven von insgesamt 90 (aktiven und ehemaligen) Geförderten des BIH Charité (Junior) Clinician Scientist Programms und vergleichend dazu von 145 wissenschaftlich tätigen Mediziner*innen an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die keine Förderung durch das Programm erhalten haben („Kontrollgruppe“). Auf Grundlage der empirischen Befunde formuliert das DZHW allgemeine Handlungsempfehlungen für die (Weiter-)Entwicklung von Clinician Scientist Programmen in der deutschen Universitätsmedizin.

Clinician Scientists leisten zentralen Beitrag zur gemeinsamen Mission von BIH und Charité

Die Ergebnisse der Evaluation veranschaulichen, dass das BIH Charité Clinician Scientist Programm Forschung und Klinik auf effektive Weise miteinander verzahnt. Clinician Scientists leben die „Kompetenz-Trias“ von Forschung, studentischer Lehre und Patientenversorgung in ihrem Klinikalltag. Das BIH Charité Clinician Scientist Programm leistet dadurch einen zentralen Beitrag zur gemeinsamen Mission der medizinischen Translation des BIH und der Charité: Die Clinician Scientists entwickeln innovative Forschungsideen aus klinischen Beobachtungen und übertragen neu gewonnene biomedizinische Erkenntnisse aus der Forschung unmittelbar in die Patientenversorgung. Die Charité kommt so ihrem Ziel nach, forschende Ärzt*innen auszubilden, die ambitioniert die Medizin der Zukunft gestalten.

Qualitätssicherungsmaßnahmen zur Umsetzung von Forschungszeiten im Klinikalltag

Angesichts des enormen ökonomischen Drucks, dem die Universitätsmedizin ausgesetzt ist, stellt die Bereitstellung und Umsetzung von zugesicherten Forschungszeiten eine große Herausforderung im Klinikalltag dar. Ein Vergleich mit der Kontrollgruppe zeigt: Je formalisierter und strukturierter die Einbindung von Forschung im Alltag ist, desto besser gelingt die tatsächliche Einhaltung von Forschungszeiten. Die Befragten, die nicht im Rahmen des BIH Charité Clinician Scientist Programms gefördert werden, haben bisweilen große Schwierigkeiten bei der Inanspruchnahme von Forschungszeiten, da sie nicht über Mittel für eine Forschungsfreistellung verfügen. Dagegen klappt die Umsetzung der durch das BIH Charité Clinician Scientstist Programm zugesicherten „protected time“ für Forschung deutlich besser: Aus dem Survey-Ergebnis geht hervor, dass die Einhaltung der geschützten Forschungszeit bei mehr als der Hälfte der Befragten problemlos, bei den meisten anderen zumindest teilweise gelingt. Die Interviewausführungen legen diesbezüglich nahe, dass die Umsetzung von Klinik- und Forschungszeiten nur dann erfolgreich und nachhaltig gelingen kann, wenn eine entsprechende Unterstützung durch die Klinikleitung, Mentor*innen und Dienstplaner*innen vorhanden ist. Diese Schwierigkeit der Einhaltung von Forschungszeiten wurde seitens des BIH Charité Clinician Scientist Programms bereits früh erkannt und wird in den Zielvereinbarungsgesprächen mit den Klinikleitungen und mithilfe zusätzlicher Maßnahmen adressiert. Einen wesentlichen Schritt nach vorne konnte 2019 durch die Einführung des sogenannten „CSP-Button“ im Dienstplanzeiterfassungssystem (PEP) durch die BIH Biomedical Innovation Academy erreicht werden: Der „CSP-Button“ soll die Programmgeförderten bei der Inanspruchnahme ihrer geschützten Forschungszeiten wirksam gegenüber ihren jeweiligen Klinikleitungen und Dienstplaner*innen unterstützen. Die vorliegenden Survey-Ergebnisse zeigen, dass die befragten Fellows diese Maßnahme als eine sehr hilfreiche und wertgeschätzte Qualitätssicherungsmaßnahme betrachten. Angesichts der Tatsache, dass an der Online-Befragung auch Fellows und Alumni teilgenommen haben, zu deren Programmlaufzeit es den „CSP-Button“ im PEP noch nicht gab, relativieren sich die aktuellen Survey-Befunde zur Einhaltung der geschützten Forschungszeit, und es ist davon auszugehen, dass in Zukunft die Umsetzung von Forschungszeiten noch besser im Klinikalltag realisiert werden kann.

Sehr hohe Zufriedenheit der Fellows mit dem Programm

Für alle, die in den letzten zehn Jahren an der Entwicklung des Programms mitgewirkt haben, ist das entscheidende Ergebnis der Evaluation die sehr hohe Zufriedenheit unter den Geförderten. Die interviewten Fellows und Alumni betonen, dass sie es ohne die Programmförderung nie geschafft hätten, ihre eigene Arbeitsgruppe aufzubauen und ihre Forschungsaktivitäten so zu intensivieren, dass weitere Drittmitteleinwerbungen ermöglicht und Publikationen erstellt werden konnten. Das Ziel des BIH Charité Clinician Scientist Programms, sowohl klinische als auch wissenschaftliche Selbstständigkeit zu erwerben, kann so von dem Großteil der Befragten erreicht werden. Dies spiegelt sich in den Gruppenleiterpositionen, Tenure Track- bzw. Stiftungsprofessuren (W2- und W3-Professuren), die von Fellows und Alumni mittlerweile bekleidet werden, wider. Dass bei diesen hochkompetitiven Zielpositionen viele Programmgeförderte keinen „9-to-5-Job“ machen, überrascht deshalb nicht. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass sich die Programmförderung nicht auf die subjektiv empfundene Arbeitsbelastung auswirkt – diese wird durchweg als „positiv“ beschrieben, wobei insbesondere die weiblichen Befragten von den Strukturen profitieren, um auch mit der Doppelbelastung von Familie und Beruf ihr Karriereziel verfolgen zu können.

Anerkennung von Forschungszeiten durch die Ärztekammer als Erfolgsfaktor

Die Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Berlin war und ist ein entscheidender Baustein für den Erfolg des BIH Charité Clinician Scientist Programms, um die Forschungsaktivitäten in die Weiterbildung zu integrieren und eine Verlängerung der Weiterbildungszeit für die Teilnehmer*innen möglichst zu vermeiden. Das Berliner Programm hat hier pionierhaft erreicht, dass bis zu 18 Monate der Forschungszeiten anerkannt werden. Für die Ärztekammer Berlin ist das übergeordnete Ziel des BIH Charité Clinician Scientist Programms die Aufwertung der ärztlichen Weiterbildung und darüber hinaus die Stärkung der klinischen Forschung. Um die Kontinuität der klinischen Weiterbildung zu gewährleisten, ist eine optimale Verzahnung des Programm‐Curriculums mit klinischen Weiterbildungsinhalten von zentraler Bedeutung. Forschungsblöcke sind in der Regel auf einer wöchentlichen oder monatlichen Basis gestaltet. Die vorliegenden Befunde der Evaluation illustrieren, dass sich – den Einschätzungen der Befragten zufolge – die Entwicklung von medizinischen Schlüsselkompetenzen durch die zeitliche Reduktion von Klinikzeiten im Rahmen der Facharztweiterbildung nicht negativ auf die Facharztweiterbildung auswirkt. Im Gegenteil: Häufig sind die Fellows der Auffassung, durch die Integration von Forschung in ihren Klinikalltag, über das eigentliche Maß hinaus gültige Kompetenzen erlangt zu haben, welche insbesondere für die erfolgreiche Translation von Forschungsergebnissen in die Klinik und vice versa von maßgeblicher Bedeutung sind.

Weiterentwicklung und Ausbau des Förderprogrammangebots für Clinician Scientists

Die Weiterentwicklung sowie der Auf- und Ausbau von Clinician Scientist Programmen sind elementare Bestandteile wissenschaftspolitischer Strategien zur Förderung des akademischen Nachwuchses in der Universitätsmedizin. Viele der befragten (Junior) Clinician Scientists streben eine dauerhafte parallele Tätigkeit sowohl in der Forschung, studentischen Lehre und der Patientenversorgung an. Die strukturierte Förderung sollte deshalb nicht nach der Facharztweiterbildung aufhören, sondern auch Advanced Clinician Scientists nach der abgeschlossenen Facharztweiterbildung einbeziehen. Eine Herausforderung für Advanced Clinician Scientists ist es, ein klares klinisches Profil mit Schwerpunktbildung in der Krankenversorgung zu entwickeln und dabei gleichzeitig weiterhin wissenschaftlich erfolgreich arbeiten zu können. Förderinstrumente für diese Zielgruppe sind (noch) rar. Daher begrüßen die Geförderten und Alumni nun das weiterführende BIH Charité Advanced Clinician Scientist Programm, welches 2020 pilotiert wurde und Duška Dragun gewidmet ist. Ziel der Advanced Clinician-Scientist-Förderung ist die Sicherstellung von geschützten Forschungszeiten für Oberärzt*innen, die die Emanzipation in einem klinischen und wissenschaftlichen Bereich fördern und damit einen kritischen Schritt auf dem Weg zu einer Zielposition darstellen.

„Die Evaluation zeigt auf, dass wir auf dem richtigen Weg sind und das Programm aus der universitären Medizin nicht mehr wegzudenken ist“, so Professorin Dr. med. Britta Siegmund, Interim-Direktorin des BIH Charité Clinician Scientist Programms. „Wir sind den Kolleg*innen und Kollegen vom DZHW sehr dankbar für die vertrauensvolle, konstruktive und spannende Zusammenarbeit während der letzten zwei Jahre. Die externe evaluatorische Perspektive hat wesentliche Punkte identifiziert – sowohl im positiven als auch im kritischen Sinne –, die nicht nur für die Weiterentwicklung des Berliner Programms äußerst wertvoll, sondern sicherlich auch für andere Clinician Scientist Standorte aufschlussreich sind. Es ist unsere Mission, forschungsorientierten Ärzt*innen in der Facharztweiterbildung mithilfe unseres strukturierten Programms „protected time“ für wissenschaftliches Arbeiten zu ermöglichen und ein kompetenzbasiertes Curriculum sowie passgenaue Formate für interdisziplinäres Networking anzubieten. Wir möchten alle Stellschrauben drehen, damit die Umsetzung in der Praxis möglichst reibungslos gelingt“, so Dr. Nathalie Huber, Leiterin (komm.) der BIH Biomedical Innovation Academy und Leiterin der Clinician Scientist Geschäftsstelle

Weitere Informationen zur Programmevaluation erhalten Sie gerne von Dr. Rüdiger Hesse, Koordinator Programmevaluationen und Curriculum oder Dr. Nathalie Huber, Leiterin (komm.) der BIH Biomedical Innovation Academy und Leiterin der Clinician Scientist Geschäftsstelle.

Literatur

Hendriks, Barbara; Schendzielorz, Cornelia; Heger, Christophe; Reinhart, Martin (2021): Kritische Bestandsaufnahme des BIH Charité (Junior) Clinician Scientist Programms: Untersuchungen einer integrierten Forschungs- und Facharztweiterbildung in der Universitätsmedizin. Ergebnisse der Programmevaluation 2019/20. Herausgeber: Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung GmbH (DZHW).