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BIH-Nachwuchswissenschaftler besuchen das 72. Lindauer Nobelpreisträgertreffen
Die Lindauer Nobelpreisträgertagungen sind jährliche Konferenzen, auf denen einige der klügsten Köpfe der Wissenschaft zusammenkommen, um Wissen auszutauschen, Zusammenarbeit zu fördern und die nächste Generation von ForscherInnen zu inspirieren. In diesem Jahr nahmen zwei junge Forscher vom BIH an der 72. Lindauer Nobelpreisträgertagung für Physiologie und Medizin teil. Dr. Robert Lorenz Chua ist Postdoktorand in der Forschungsgruppe Intelligente Bildgebung unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Conrad. Julius Upmeier zu Belzen ist Doktorand in der Gruppe von Prof. Dr. Roland Eils am BIH Zentrum für Digitale Gesundheit. Eine Woche danach blicken beide auf das Meeting zurück, ihre Erinnerungen finden Sie hier.

Die Lindauer Nobelpreisträgertagungen sind jährliche Konferenzen, auf denen einige der klügsten Köpfe der Wissenschaft zusammenkommen, um Wissen auszutauschen, Zusammenarbeit zu fördern und die nächste Generation von ForscherInnen zu inspirieren. Seit ihrer Gründung im Jahr 1951 durch den schwedischen Philanthropen Graf Lennart Bernadotte und die Lindauer Ärzte Franz Karl Hein und Gustav Wilhelm Parade finden diese Tagungen jedes Jahr in der idyllischen Stadt Lindau in Deutschland statt. Seitdem sind die Treffen zu einer geschätzten Tradition geworden und ziehen PreisträgerInnen aus den Bereichen Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Frieden und Wirtschaftswissenschaften an. Das wissenschaftliche Programm umfasst Vorträge der PreisträgerInnen und Podiumsdiskussionen sowie interaktive Veranstaltungen wie Spaziergänge mit den PreisträgerInnen, Mittagessen mit den PreisträgerInnen und „Open Exchanges“, bei denen eine PreisträgerIn mit einer kleinen Gruppe junger WissenschaftlerInnen ohne festes Thema zusammenkommt. So können die jungen WissenschaftlerInnen Fragen zur Wissenschaft selbst, zu Geschichten hinter den Kulissen, aber auch zu politischen, persönlichen und karrierebezogenen Fragen stellen. In den vergangenen 70 Jahren haben sich die Treffen zu einer renommierten Veranstaltung entwickelt, bei der die PreisträgerInnen ihr Wissen weitergeben, junge WissenschaftlerInnen anleiten und die Zusammenarbeit fördern. Sie tragen so zum Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung bei und inspirieren Generationen von ForscherInnen weltweit.
In diesem Jahr nahmen zwei junge Forscher des Berliner Instituts für Gesundheit an der Charité (BIH) an der 72. Lindauer Nobelpreisträgertagung für Physiologie und Medizin teil. Dr. Robert Lorenz Chua ist Postdoktorand und erforscht molekulare Mechanismen von Atemwegs- und Fibroseerkrankungen mit hochauflösender Transkriptomaufklärung, wie Einzelzell-RNA-Sequenzierung und räumlicher Transkriptomik. Er arbeitet in der Forschungsgruppe Intelligente Bildgebung unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Conrad. Seine Teilnahme wurde von Boehringer Ingelheim unterstützt. Julius Upmeier zu Belzen ist Doktorand in der Gruppe von Prof. Dr. Roland Eils am Zentrum für Digitale Gesundheit und entwickelt interpretierbare maschinelle Lernmodelle zur Untersuchung des genetischen Krankheitsrisikos in großen Bevölkerungskohorten. Seine Teilnahme wurde von der Bayer-Stiftung unterstützt.
Eine Woche später blicken die beiden auf das Treffen zurück:
Lorenz (L): Also Julius, das war eine sehr intensive, aber spannende Woche, oder?
Julius (J): Ja, auf jeden Fall! Es war sehr offen und international, sehr interdisziplinär, und die Preisträger waren sehr zugänglich. Es war erstaunlich zu sehen, wie die Wissenschaft Menschen über nationale Grenzen und auch über Karrierestufen hinweg zusammenbringt. Was war dein persönliches Highlight mit einem Nobelpreisträger?
L: Ich glaube, viele Leute würden mir in diesem Punkt zustimmen. Frances Arnolds Vortrag über die gerichtete Evolution von Enzymen, für den sie den Nobelpreis für Chemie erhielt, war wirklich spektakulär. Er kann sogar als eine großartige Fallstudie für effektive Kommunikation an ein breites Publikum dienen, indem er eine fesselnde Geschichte voller erstaunlicher Wissenschaft erzählt. Den Vortrag findet man noch in der Mediathek. Was mich jedoch am meisten beeindruckt hat, war ihre abschließende Botschaft: "Seid Agenten des positiven Wandels durch eure Wissenschaft." Da ich auf den Philippinen aufgewachsen bin, war ich mir der vielen Herausforderungen, die das Leben mit sich bringen kann, immer bewusst, und ich habe es mir zum persönlichen Mantra gemacht, dafür zu sorgen, dass meine Forschung einen positiven Einfluss auf das Leben der Menschen hat. Es ist wirklich inspirierend zu sehen, dass sich eine so angesehene Wissenschaftlerin wie sie für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen einsetzt. In ähnlicher Weise äußerte sich Shwetak Patel, Gewinner des ACM-Preises für Informatik 2018, später in seinem Vortrag über die Anwendungen von künstlicher Intelligenz auf Wearables für die Gesundheit und versprach, sich wissenschaftlichen Fragen zu widmen und Technologien zu entwickeln, die die gesundheitlichen Ungleichheiten in der Welt verringern, anstatt sie zu vergrößern. Was war dein Highlight?
J: Nun, einer meiner Lieblingsvorträge war der offene Austausch mit Richard Roberts, der das Splicing entdeckt hat und den größten Teil seiner Karriere bei New England Biolabs verbracht hat, aber auch ein sehr erfolgreicher Aktivist ist. Zusätzlich zu seiner großartigen wissenschaftlichen Arbeit hat er seine Forschungsergebnisse in kommerziell erhältliche Produkte (vor allem Restriktionsenzyme) umgesetzt, die für die heutige Molekularbiologie von entscheidender Bedeutung sind, und er nutzt die Plattform, die ihm der Nobelpreis verschafft hat, um Politiker dazu zu bewegen, humaner zu handeln und die Wissenschaft ernst zu nehmen.
Ich möchte aber auch Ada Yonath erwähnen, die die Struktur des Ribosoms entschlüsselt hat und in ihren Vorträgen über die Ursprünge nicht nur des Ribosoms, sondern des Lebens sprach. Sie erzählte von ihren Erfahrungen, wie sie ihre Tochter großzog, während sie Nobelpreis-verdächtige Forschung betrieb, was viele der jungen Forscher sehr gerne hörten.
Und wie war es bei den anderen Teilnehmern?
L: Ja, es war eine ganz besondere Erfahrung, in der Gegenwart der berühmtesten Wissenschaftler der Welt zu sein. Daran gibt es keinen Zweifel. Aber ich glaube, das Besondere an diesem Treffen war die Tatsache, dass Hunderte von talentierten jungen Wissenschaftlern aus allen Bereichen des Lebens anwesend waren. Das hat für mich den Unterschied ausgemacht! Ich habe Leute aus Australien, Pakistan, Indien, der Türkei, Deutschland, Brasilien, Taiwan, den USA und vielen anderen Ländern kennen gelernt und mit ihnen gesprochen. Vor allem aber war es gut zu hören, dass unsere Generation von WissenschaftlerInnen positive Veränderungen in der Wissenschaft anstrebt. Wir haben ausgiebig über Vielfalt, Gleichberechtigung, psychische Gesundheit und so weiter diskutiert. Ich bin sehr froh, dass unsere Generation diese fortschrittliche Perspektive hat und dass wir uns nicht scheuen, solche Themen offen zu diskutieren. Ich applaudiere zum Beispiel unserer Kollegin, die sich gegenüber einem Nobelpreisträger geäußert hat, der behauptet, dass die derzeitigen Systeme in der Wissenschaft eine "männerfeindliche Diskriminierung" darstellen [REF]. Ehrlich gesagt denke ich, dass die nächste Generation von Wissenschaftlerinnen weiterhin so offen und mutig sein muss wie sie, um positive Veränderungen in der Wissenschaft zu erreichen, denn es wird immer einen gewissen Widerstand dagegen geben. Also ja, ich bin stolz darauf, zu dieser Generation von Wissenschaftlerinnen zu gehören!
Was waren deine Eindrücke von den anderen TeilnehmerInnen?
J: Ich kann den großartigen Diskussionen über die Systeme, in denen wir arbeiten, um unsere wissenschaftliche Arbeit zu leisten, nur zustimmen. Es war großartig zu sehen, dass unsere KollegInnen über diese Fragen, wie man eine wissenschaftliche Karriere angeht, auf ähnliche Weise nachdenken, aber auch, wie sich diese Diskussionen international unterscheiden. Und natürlich war es fantastisch zu sehen, wie gut die Nachwuchswissenschaftlerin die Behauptung des "Anti-male bias" in der Wissenschaft widerlegt hat, ich denke, sie hatte großartige Argumente, und ich wünschte mir, dass in Zukunft auch SozialwissenschaftlerInnen an diesen Diskussionen teilnehmen.
Die NachwuchswissenschaftlerInnen sind großartig - ich habe in den Next Generation Sessions viel gelernt und war sehr beeindruckt von der bahnbrechenden Arbeit, die einige von ihnen in nur wenigen Jahren bereits geleistet haben.
Ich wollte noch kurz erwähnen, dass mit Morton Meldal ein Preisträger an der Tagung teilnahm, der zuvor als Nachwuchswissenschaftler teilgenommen hatte, und nachdem ich einige der Vorträge gesehen habe, würde es mich nicht wundern, wenn andere in seine Fußstapfen treten würden.
Wenn du einige Tage später auf das Treffen zurückblickst, glaubst du, dass es deine wissenschaftliche Arbeit oder Herangehensweise an diese verändert hat?
L: Zwar hat sich meine allgemeine Sichtweise oder mein wissenschaftlicher Ansatz nicht wesentlich verändert, aber ich habe sicherlich einige wertvolle Erkenntnisse von den NobelpreisträgerInnen gewonnen. Allerdings sollte man ihre Ratschläge mit Vorsicht genießen und sich darüber im Klaren sein, dass ihre Ansichten auf ihren außergewöhnlichen Lebenserfahrungen beruhen und möglicherweise nicht auf jeden zutreffen. Ein wiederkehrendes Thema, das viele der PreisträgerInnen betonten, ist die Wichtigkeit, "gute" wissenschaftliche Fragen zu stellen. Rolf Zinkernagel, der entdeckte, wie das Immunsystem virusinfizierte Zellen aufspürt, erklärte: "Es gibt Leute, die eine Technik beherrschen, und es gibt andere, die eine Frage haben. Mein Rat ist einfach, eine gute Frage zu haben, auf die man eine Antwort haben möchte." Er sprach weiter über die blinde Anwendung ausgefallener Techniken, die nur zu einer Veröffentlichung in einer "beschissenen" Zeitschrift führen, woraufhin sich der Raum mit Gelächter füllte. Ich denke, dies ist eine sehr gute Erinnerung für uns alle, die wir mit den neuesten Technologien arbeiten, dass wir sie nicht nur anwenden sollten, weil es "in Mode" ist, sondern sie vielmehr dazu nutzen sollten, biologische Fragen von Wert zu beantworten.
Abgesehen davon möchte ich nur kurz erwähnen, dass es sehr einfach war, in den Pausen Kontakte zu unseren KollegInnen zu knüpfen. Es war großartig zu hören, was andere Leute in anderen Teilen der Welt machen und wie sie meine Forschung sehen. Zufällig kam ich mit anderen ins Gespräch, die an Lungenfibrose, COVID-19 und räumlicher Transkriptomik arbeiten, und wir haben beschlossen, auch nach Lindau in Kontakt zu bleiben. Es ist verrückt, dass das alles nur zufällige Begegnungen waren! Und was ist mit dir? Siehst du Veränderungen in deiner wissenschaftlichen Arbeit nach Lindau?
J: Auf jeden Fall! Zu sehen, wie die Preisträger und jungen Wissenschaftler über Ungerechtigkeiten sprechen und sich dafür einsetzen, dass sich die Politik mehr auf die Wissenschaft stützt, war wirklich beeindruckend und hat mich dazu inspiriert, mich mit diesen Themen mehr zu beschäftigen. Und was konkrete wissenschaftliche Projekte angeht, stehe ich bereits mit vier anderen TeilnehmerInnen, die ich in Lindau kennengelernt habe, in Kontakt, um verschiedene Projektideen zu besprechen, bei denen wir ihre Methoden auf unsere Datensätze anwenden können und umgekehrt oder Software-Engineering-Projekte kombinieren, an denen wir bisher unabhängig voneinander gearbeitet haben. Für diesen Austausch war es fantastisch, Leute aus verschiedenen Bereichen und Institutionen zu treffen, so dass es wirklich eine Reihe von verschiedenen Projekten gibt. Ich hoffe, dass wir dieses Gespräch irgendwann in der Zukunft fortsetzen und über eine in Lindau begonnene Zusammenarbeit berichten können.