Impfungen provozieren die Produktion spezifischer neutralisierender Antikörper gegen die verabreichten Erregerantigene wie zum Beispiel das Spikeprotein des SARS-CoV-2-Virus. Im Fall einer späteren Infektion können diese Antikörper dann zur Erregerabwehr mobilisiert werden. Für eine gute Impfwirkung ist es wichtig, dass nach der Impfung Erregerbestandteile in ausreichenden Mengen im Blut zirkulieren.
Die Crux bei der Geschichte
Allerdings verringert sich die Anzahl der frei im Blut umher schwimmenden Erregerbestandteile, weil diese die Eigenschaft besitzen, an Rezeptoren zu binden. Häufig finden Erreger – und damit auch die verimpften Erregerbestandteile – vielerorts im Wirtsorganismus passende Rezeptoren vor, an die sie andocken können. Auch bei SARS-CoV-2 ist das so. Die zentrale Rolle spielt in diesem Fall der ACE2-Rezeptor, mit dem das Spikeprotein des Coronavirus interagiert. Dieser Rezeptor ist nicht nur in den Atemwegen vorhanden, sondern auch sonst im Körper weit verbreitet. Sowohl bei einer COVID-19-Infektion als auch bei einer Impfung kann das Spikeprotein ACE2-Rezeptoren besetzen.
Das aber dürfte mit Blick auf die Impfantwort von Nachteil sein, vermutete Kathrin de la Rosa. Die Immunologin hat eine Johanna Quandt-Professur für Immunmechanismen in der Translation am BIH inne und leitet eine Forschungsgruppe am Max Delbrück Center. „Haben sich Impfstoffbestandteile erst einmal an passende Rezeptoren auf den Zelloberflächen gebunden“, so erläutert de la Rosa, „sind sie vor einem Zugriff des Immunsystems mehr oder weniger geschützt. Sie bieten den B-Zellen, die für die Produktion erregerspezifischer Antikörper zuständig sind, weniger Angriffsfläche, weil das Erkennungsmerkmal für diese Immunzellen durch die Rezeptorbindung maskiert wird. Die Folge: Die Impfwirkung verringert sich.“
Und es könnte einen weiteren Nachteil geben: Es ist nicht auszuschließen, dass eine impfbedingte Rezeptorbindung zu zellulären Fehlfunktionen und einer Störung der Balance innerhalb des Körpers führen kann.
Ausgeklügelte Selektion
„Body Inert“ (im Körper kaum reaktiv), dabei aber „B-cell Activating“ sollte eine Vakzine idealerweise sein, so Kathrin de la Rosa. Und damit hatte das Kind auch gleich seinen Namen: BIBAX nennen die Forscher den innovativen Impfstofftyp, den sie gegen SARS-CoV-2 entwickelt und erfolgreich getestet haben. Das Spikeprotein diente „lediglich“ als Modellprotein, denn – das war von Anfang an klar – auch mit Blick auf andere Impfstoffe könnte das neue Verfahren von Interesse sein.
Bindungsscheue Varianten mit geringer Tendenz, sich an Rezeptoren – in diesem Fall an ACE2-Rezptoren – zu binden, müssten für die Entwicklung Impfstoffen von Vorteil sein, so die Vision der Wissenschaftler*innen. Sie nutzen verschiedene im Labor hergestellte Varianten des Spikeproteins, die infolge von Punktmutationen (kleinsten genetischen Veränderungen) leicht voneinander abweichende funktionelle Eigenschaften besitzen. Mit einem innovativen computergestützten Ansatz fahndeten die Forscher*innen in „Deep Mutational Scanning“-Daten nach bindungsscheuen Mutanten des Spikeantigens mit gleichzeitig hoher Immunogenität. Und sie wurden fündig. Die Antigenvariante RBD-G502E zeigte annähernd das Wunschprofil und wurde für die Herstellung eines Impfstoffs ausgewählt.
Ein neuer Impfstoff-Prototyp?
„Unsere Studien in der Zellkultur und im Tiermodell weisen auf eine Überlegenheit des neuartigen SARS-CoV-2-Impfstoffs hin, der aus unserer Sicht als Prototyp geeignet ist“, erklärt Kathrin de la Rosa. Es sei von einer gezielten, starken Wirkung auf die B-Zellen auszugehen. „Wir konnten zeigen, dass die Spikeprotein-Variante RDB-G502E fast gar nicht an ACE2-Rezeptor bindet.“ Ein Rezeptortransport ins Zellinnere, wie er nach Binden des Antigens an seinen Rezeptor typisch wäre, wurde bei Verwendung von RDB-G502E nicht beobachtet.
Auch mit Blick auf ihre Immunogenität erfüllte diese Antigenvariante die Erwartungen: Bei Kaninchen führte der RDB-G502E-basierte Impfstoff zu 3,3-fach höheren Konzentrationen neutralisierender Antikörper im Blut verglichen mit einer herkömmlichen Vakzine. Die Chancen, einen zuverlässigen Impfschutz gegen SARS-CoV-2 aufzubauen, könnten sich durch die gezielte Selektion immunogener, bindungsscheuer Erregerantigene deutlich verbessern lassen. Und auch mit Blick auf andere Erreger verspricht sich die AG de la Rosa einiges von dieser neuen Art des Impfstoff-Designs. „Für SARS-CoV-2 sind effektive Impfstoffe verfügbar, doch für andere Erreger fehlen sie trotz intensiver Forschung“ betont de la Rosa. „Wir haben erste Hinweise dafür, dass die BIBAX Strategie hilfreich für den Impfschutz gegen andere Corona- oder Herpesviren sein kann, gegen die bislang kein ausreichender Impfschutz erzielt werden konnte.“ Diesen Hinweisen möchte das Team um Kathrin de la Rosa nun weiter nachgehen.