Hunderte von Innovator*innen, Pioniere aus Forschung, Klinik und Industrie sowie politische Entscheidungsträger*innen aus ganz Europa haben eine gemeinsame Vision veröffentlicht, mit der sie die Gesundheitsversorgung verbessern wollen. In zwei Publikationen – einer Perspektive in der Zeitschrift Nature und der LifeTime Strategic Research Agenda (SRA) – präsentieren sie nun eine detaillierte Roadmap. Sie beschreibt, wie man neueste wissenschaftliche Durchbrüche und Technologien bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre nutzen kann, um menschliche Zellen lebenslang zu verfolgen (LifeTime), ihren Zustand zu verstehen und kranke Zellen gezielt zu behandeln.
Die europäische LifeTime-Initiative, zu der auch das Berlin Institute of Health (BIH) gehört, hat eine Strategie entwickelt, um die maßgeschneiderte Behandlung in fünf großen Krankheitsfeldern voranzubringen: Krebs, neurologische, infektiöse und chronisch-entzündliche Krankheiten sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ziel ist es, Abweichungen in einzelnen Zellen zu erkennen und einzugreifen, bevor Symptome entstehen, die Krankheit quasi „abzufangen“, bevor sie ausbricht. Die Autor*innen gehen davon aus, dass die zellbasierte Medizin das Potenzial hat, Therapieergebnisse zu verbessern, Kosten von Behandlungen zu senken und grundlegend verändern könnte, wie Patient*innen die Gesundheitsversorgung erleben.
Krankheiten früher erkennen und effektiver behandeln
Um einen funktionierenden, gesunden Körper zu bilden, folgen Zellen bestimmten Entwicklungspfaden, auf denen sie bestimmte Rollen im Gewebe und in Organen übernehmen. Weichen sie jedoch vom gesunden Pfad ab, verändern sich die Zellen allmählich immer mehr. Diese Veränderungen bleiben oft unentdeckt, bis Symptome auftreten. Zu diesem Zeitpunkt der Erkrankung ist eine medizinische Behandlung jedoch oft invasiv, teuer und ineffizient.
Neue Technologien ermöglichen es, die molekulare Zusammensetzung einzelner Zellen abzubilden und das Auftreten einer Krankheit oder einer Therapieresistenz deutlich früher zu erkennen. So können Einzelzell- und Bildgebungsmethoden mit künstlicher Intelligenz und personalisierten Krankheitsmodellen kombiniert genutzt werden. Dies könnte ermöglichen, nicht nur den Ausbruch einer Krankheit früher vorherzusagen, sondern auch die wirksamste Therapie für Patient*innen auszuwählen. Der Fokus liegt dabei auf den krankheitsauslösenden Zellen, um den Verlauf einer Krankheit rechtzeitig zu unterbrechen, bevor irreparable Schäden auftreten. So könnte die Prognose für viele Patient*innen verbessert und potenziell krankheitsbedingte Kosten in Milliardenhöhe eingespart werden.
Ein detaillierter Fahrplan
Der Nature-Artikel „LifeTime and improving European healthcare through cell-based interceptive medicine“ und die LifeTime Strategic Research Agenda (SRA) erläutern, wie diese Technologien rasch gemeinsam entwickelt, in die klinische Praxis überführt und auf die fünf wichtigsten Krankheitsbilder angewendet werden sollten. Die Autor*innen erläutern, dass die enge Zusammenarbeit zwischen europäischen Infrastruktur- und Forschungseinrichtungen, Kliniken und der Industrie unerlässlich ist, um im Rahmen der LifeTime-Initiative große Mengen an medizinischen Daten über die Grenzen Europas hinweg zu erzeugen, auszutauschen und zu analysieren. Die Initiative befürwortet eine ethisch verantwortungsvolle Forschung zum Nutzen der Bürger*innen in ganz Europa.
Für Professor Nikolaus Rajewsky, Koordinator der LifeTime-Initiative, ist genau dieser Ansatz der Weg in die Zukunft: „LifeTime hat Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen zusammengebracht – von Expertinnen und Experten aus der Biologie über die Datenwissenschaft und Ingenieurskunst bis hin zu Mathematik und Physik – um die molekularen Mechanismen besser zu verstehen, die für Gesundheit und Krankheit verantwortlich sind. Mithilfe der zellbasierten Medizin können Ärztinnen und Ärzte in Zukunft Krankheiten früher diagnostizieren und behandeln, noch bevor irreparable Schäden entstehen. LifeTime bietet damit die Chance, die Gesundheit der Patientinnen und Patienten in Europa zu verbessern.“ Rajewsky ist wissenschaftlicher Direktor des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie (BIMSB) am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin und Sprecher des BIH Forschungsfokus Single-Cell Technologien für die personalisierte Medizin.
Dr. Geneviève Almouzni, Forschungsdirektorin am französischen CNRS, Ehrendirektorin des Forschungszentrums am Institut Curie in Paris und Ko-Koordinatorin der LifeTime-Initiative, ist davon überzeugt, dass sich LifeTime nicht nur aus medizinischer Sicht lohnen wird: „Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen dürften erheblich sein, wenn allein durch eine effektivere Krebsbehandlung Milliarden von Euro eingespart würden und die Behandlungsdauer intensivpflichtiger COVID-19-Patient*innen erheblich verkürzt würde. Wir hoffen, dass die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der EU erkennen, dass wir jetzt in die notwendige Forschung investieren müssen.“
Referenzen:
- Rajewsky, N. et al. LifeTime and improving European healthcare through cell-based interceptive medicine. Nature doi.org/10.1038/s41586-020-2715-9 (2020)
- LifeTime Strategic Research Agenda
- Torres-Padilla, M. E. et al. Thinking ‘ethical’ when designing a new biomedical research consortium. EMBO J, doi:10.15252/embj.2020105725 (2020)
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LifeTime
Valentin Popescu
Communication manager for the LifeTime Initiative
Max Delbrück Center for Molecular Medicine in the Helmholtz Association (MDC)
+49 30 9406-2136
valentin.popescu@mdc-berlin.de
Über LifeTime
Die LifeTime-Initiative ist eine stetig wachsende Community, die aus über 100 führenden europäischen Forschungseinrichtungen und Kliniken sowie internationalen Berater*innen und mehr als 80 unterstützenden Unternehmen besteht. International renommierte europäische Forschungsgruppen, die Multi-Omics-Strategien, wissenschaftliche Infrastrukturen, Bio-Imaging und Computertechnologien entwickeln und im Bereich personalisierter Krankheitsmodelle führend sind, gehören zu LifeTime. Ebenso sind Bioethiker*innen und eine Kerngruppe federführender klinischer Wissenschaftler*innen Teil der Initiative. Viele der beteiligten Institutionen verfügen über eigene translationale/klinische Forschungseinrichtungen und Kliniken oder arbeiten mit solchen zusammen. So wird sichergestellt, dass LifeTime-Erkenntnisse rasch in die klinische Praxis überführt werden können.