Nachblutungen und akutes Nierenversagen gehören zu den gefährlichsten Komplikationen nach Operationen am Herzen oder an den herznahen Gefäßen. Je früher Ärzt*innen oder Pflegekräfte sie erkennen, desto größer ist die Chance, erfolgreich eingreifen und Leben retten zu können. „Zwar überwachen auf modernen herzchirurgischen Intensivstationen eine Vielzahl von Messinstrumenten fortlaufend die Körperfunktionen und Kreislaufparameter der Patient*innen. Zugleich ist es aber auch für erfahrene Ärztinnen und Ärzte kaum möglich, unter den vielen kontinuierlich ermittelten Überwachungsdaten frühzeitige Anzeichen für Komplikationen „herauszulesen“, noch bevor es zu echten Symptomen kommt“, berichtet Professor Alexander Meyer, Arzt und Informatiker am Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB), der mit seinem Team eine Software mit genau dieser Fähigkeit entwickelt hat.
Daten von Tausenden Patient*innen zum Aufbau des Systems
„Wir haben eine Software mit den gespeicherten und anonymisierten Daten von Tausenden Patient*innen am DHZB trainiert, damit diese immer besser Nachblutungen und akutes Nierenversagen vorhersagen konnte. Dadurch konnten die Ärztinnen und Ärzte rechtzeitig eingreifen und so die Auswirkungen dieser potenziell lebensbedrohlichen Zustände durch entsprechende therapeutische Maßnahmen abmildern oder sogar ganz verhindern und damit Leben retten“, erzählt Meyer.
Meyer erhielt zunächst während der Entwicklungs- und Testphase eine Förderung als Stipendiat des BIH Charité Clinician Scientist Programms, was ihm erlaubte, die Hälfte seiner Arbeitszeit in der Forschung zu verbringen. Das Validation Fund Spark-BIH Programm sowie das „Digital Health Accelerator“-Programm des BIH haben anschließend dabei geholfen, das Projekt aus dem rein wissenschaftlichen Kontext in die Anwendung und Vermarktung zu überführen und einen Geschäftsführer für sein zukünftiges Start Up zu finden. „Unsere Mission am BIH ist die klinische Translation: Kritische Situationen im klinischen Alltag sollen hinterfragt werden, gefundene Lösungen wieder zurück in die Anwendung gelangen. Genau diesen Prozess hat Alexander Meyer durchlaufen und wir haben ihn dabei sehr gerne unterstützt“, erklärt Professor Christopher Baum, Vorsitzender des BIH Direktoriums und Vorstand für den Translationsforschungsbereich der Charité.
Die Systeme wurden in den Intensivstationen des DHZB seit April 2018 im realen Klinikbetrieb erprobt und werden nun in die zertifizierten Medizinprodukte „x-c-bleeding“ und „x-c-renal-injury“ überführt, die die nun gegründete Firma x-Cardiac vermarktet.
Weitere Produkte geplant
Alexander Meyer plant, mit dem neuen Unternehmen mittelfristig mehrere weitere Produkte auf den Markt zu bringen: „Das Prinzip der Früherkennung postoperativer Komplikationen auf der Basis von Big Data und mithilfe künstlicher Intelligenz lässt sich natürlich auch auf andere chirurgische Disziplinen mit ihren jeweils spezifischen Komplikationen erweitern. Wir sind überzeugt, dass unsere Entwicklungen nicht nur die Sterblichkeit nach Operationen, sondern auch die Verweildauer der Patient*innen auf der Intensivstation erheblich reduzieren werden. Damit können sie nicht nur Menschenleben retten, sondern auch einen Beitrag zur Wirtschaftlichkeit der Kliniken leisten.“
Zur Geschäftsführung des neuen Unternehmens gehört neben Alexander Meyer der Berliner Diplom-Kaufmann und Unternehmer Oliver Höppner. Höppner ist als CEO von x-Cardiac verantwortlich für die Bereiche, Geschäftsentwicklung, Finanzen und Personalwesen. Er verfügt über eine mehr als zwanzigjährige Führungserfahrung als Manager zahlreicher Life-Science-Unternehmen. Für das operative Geschäft bei x-cardiac ist der Ingenieur Kay Brosien zuständig. Zugleich ist er für das Qualitätsmanagement und die Regulatorik verantwortlich. Vor x-cardiac entwickelte Kay Brosien bereits Diagnosesoftware für angeborene Herzkrankheiten. Den wissenschaftlichen Beirat von x-cardiac bilden Prof. Dr. med. Volkmar Falk und Prof. Carsten Eickhoff. Volkmar Falk ist Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie und Ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums Berlin und Direktor der Klinik für Kardiovaskuläre Chirurgie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Falk hat ebenfalls eine Professur an der ETH Zürich inne. Carsten Eickhoff ist Professor für Medizinische KI an der Brown University in Providence, Rhode Island (USA). Er leitet das AI Lab am Brown's Center for Biomedical Informatics und unterstützt x-cardiac als technischer Berater. Vor seiner Professur hat er an der Harvard University und der ETH Zürich geforscht. Zusammen mit Alexander Meyer war Carsten Eickhoff der wissenschaftliche Initiator des x-cardiac Projekts.
Alexander Meyer absolvierte eine Berufsausbildung zum Fachinformatiker und war zwei Jahre als Software-Entwickler tätig, bevor er ein Medizinstudium an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main aufnahm. Seit 2015 ist er am DHZB tätig. Er hat dort die „AG Medical Data Science“ aufgebaut und ist seit Mitte 2020 als Chief Medical Information Officer in leitender Funktion für die Digitalisierung in der Medizin verantwortlich. Im Dezember 2020 wurde Alexander Meyer zum W2-Professor für „Clinical Applications of AI and Data Science“ an der Charité – Universitätsmedizin Berlin berufen.
Die Studie zur retrospektiven Validierung des Systems zur Vorhersage postoperativer Blutungen hat das Team um Alexander Meyer in der Zeitschrift „Lancet Respiratory Medicine“ veröffentlicht (https://www.thelancet.com/journals/lanres/article/PIIS2213-2600(18)30300-X/fulltext), die Bewertung des Systems zur Früherkennung des akuten Nierenversagens publizierten die Wissenschaftler*innen im „nature partner journal (npj) Digital Medicine“ (https://www.nature.com/articles/s41746-020-00346-8)