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Publikation

Maik Pietzner, ……,Claudia Langenberg: „Plasma metabolite to profile pathways in noncommunicable disease multimorbidity“ Nature Medicine 2021
DOI 10.1038/s41591-021-01266-0

Abstract

Multimorbidity, the simultaneous presence of multiple chronic conditions, is an increasing global health problem and research into its determinants is of high priority. We used baseline untargeted plasma metabolomics profiling covering >1,000 metabolites as a comprehensive readout of human physiology to characterize pathways associated with and across 27 incident noncommunicable diseases (NCDs) assessed using electronic health record hospitalization and cancer registry data from over 11,000 participants (219,415 person years). We identified 420 metabolites shared between at least 2 NCDs, representing 65.5% of all 640 significant metabolite–disease associations. We integrated baseline data on over 50 diverse clinical risk factors and characteristics to identify actionable shared pathways represented by those metabolites. Our study highlights liver and kidney function, lipid and glucose metabolism, low-grade inflammation, surrogates of gut microbial diversity and specific health-related behaviors as antecedents of common NCD multimorbidity with potential for early prevention. We integrated results into an open-access webserver (https://omicscience.org/apps/mwasdisease/) to facilitate future research and meta-analyses.

Interview

Sie haben in Ihrer Studie die Daten von tausenden Probanden analysiert. Was waren das für Daten?

Langenberg: Das waren Blutwerte von mehr als zehntausend Engländern, die wir auf einen Zusammenhang mit dem Auftreten verschiedenster Krankheiten hin untersucht haben. Dazu konnten wir auf Krankengeschichten jeder/s Teilnehmerin/s aus mehr als 20 Jahren zurückgreifen, da diese in England, unter Einverständnis der Studienteilnehmer, der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Nur so konnten wir für jede(n) Teilnehmer(in) untersuchen ob Stoffwechselprodukte oder Metaboliten in den Blutproben zu Beginn der Studie im Zusammenhang mit bis zu 27 häufigen Krankheiten standen, die oft erst Jahre oder Jahrzehnte später auftraten.

Wonach haben Sie gesucht?

Langenberg: Wir wollten herausfinden, wie verschiedene Krankheiten miteinander zusammenhängen, ob sie möglicherweise eine gemeinsame Ursache haben. Deshalb haben wir die Konzentration von verschiedenen Stoffwechselprodukten gemessen und anschließend geprüft, wie diese mit verschiedenen Krankheiten zusammenhängen, ob z.B. eine höhere Menge von bestimmten Fetten mit einem höheren Risiko für Herzkreis- oder Krebserkrankungen einhergeht.

Und was haben Sie gefunden?

Pietzner: Wir haben vor allem eine unerwartet hohe Ähnlichkeit in den Stoffwechselprofilen der mehr als zwanzig verschiedenen Erkrankungen gefunden. Das steht im großen Gegensatz zu vielen bisherigen Studien, die sich oft nur mit einer bestimmten Erkrankung oder einem bestimmtem Stoffwechselweg befasst haben. Im Umkehrschluss hieß dies allerdings auch, dass wir keine neuen Marker für eine bestimmte Erkrankungen, wie etwa Lungenkrebs, gefunden haben.  Vielmehr scheinen die veränderten Stoffwechselwege eine Konsequenz eine Folge von Risikofaktoren wie Übergewicht oder einem veränderten Glukosehaushaltes zu sein.

Claudia Langenberg: Diese Stoffwechselwege waren vor allem eben nicht nur mit einer Krankheit assoziiert, sondern sehr oft gleich mit mehreren Krankheiten auf einmal. Und diejenigen, die besonders relevant für Multimorbidität waren, waren Faktoren, die wir schon kennen und die wir auch in der Klinik schon behandeln, wie der Glukosehaushalt oder Übergewicht, oder Faktoren, die eine engere Beobachtung bei betroffenen Patienten benötigen da sie mitunter nicht gut zu behandeln sind, wie etwa die Einschränkung der Nierenfunktion.

Da würde ich mich jetzt mal für ein konkretes Beispiel interessieren.

Claudia Langenberg: Also zum Beispiel Rauchen. Alle denken beim Rauchen sofort an Lungenkrebs, aber vor allem sind Befragungen zum Rauchen oft sehr unzuverlässig, da Raucher oft ihren eigentlichen Konsum unterschätzen oder manchmal, aus verschiedensten Gründen nicht ganz ehrlich sind. Die von uns angewandte Vermessungsmethode, die Massenspektrometrie, erlaubt es uns hier sehr verlässliche Marker zu bestimmen. So zum Beispiel das Cotinin, ein Abbaustoff des Nikotins, welches nur Blut von Rauchern nachzuweisen ist. So konnten wir nicht nur sehr, ob Rauchen das Risiko für eine oder mehrere der vielen Erkrankungen erhöht, sondern auch ob viel Rauchen auch ein höheres Risiko macht.  

Maik Pietzner: Wir haben zum Beispiel Assoziationen entdeckt, wo ein Metabolit, wenn seine Konzentration sehr niedrig war, das Risiko für 10 oder mehr Erkrankungen erhöht war. Das waren so kryptische Stoffe wie Threonat oder Indolpropionat. Wenn wir dann diese Daten dann mit anderen Daten der Teilnehmer übereinanderlegen, haben wir relativ schnell gesehen, das sind Ernährungsgewohnheiten, die wiederum beeinflussen, wie divers unsere Darmflora ist. Und das steht natürlich auch in einem gewissen Zusammenhang damit, wie reich unsere tägliche Nahrung an Ballaststoffen ist. Und das ist faszinierend, dass man im Blut Marker für die Diversität im Darm findet. Und diese Marker geben einen objektiveren Einblick darüber, wie gut sich der Patient an eine gewisse Diät hält, die ihm der Arzt verordnet hat. Das sind mögliche translationale Aspekte.

Da könnte man sich viele weitere Fragestellungen überlegen, um nach Zusammenhängen zwischen zwei Krankheiten oder neuen Krankheitsmechanismen zu forschen, die man bisher noch nicht verstanden hat?

Claudia Langenberg: Ja, deshalb haben wir mit unseren Kollegen in München einen Webserver eingerichtet, auf dem sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von überall sich das anschauen können, jeden Metaboliten, jede Erkrankung, und unsere Daten nutzen und weiter damit forschen können. Unser Hauptinteresse liegt darin, die Genetik zu nutzen, um zu prüfen, welche Assoziationen von Krankheiten kausal sind, also nicht nur zufällig gleichzeitig auftreten.

Maik Pietzner: Multimorbidität ist derzeit noch sehr schwammiges Konzept. Also gerade sehr häufige Erkrankungen können in einem Patienten einfach gemeinsam auftreten, weil sie sehr verbreitet sind. Und jetzt versucht man, auf Ebene der Metaboliten oder der Genetik Gemeinsamkeiten zu finden, die dafür verantwortlich sein könnten, dass diese Erkrankungen im selben Patienten auftreten, und nicht völlig voneinander unabhängig. Man könnte ja denken, jemand bekommt Lungenkrebs, weil das eine der häufigsten Krebsarten ist, und erleidet zusätzlich einen Myokardinfarkt, weil das eine der häufigsten Herzerkrankungen ist, ohne dass das eine mit dem anderen in Zusammenhang steht. Uns geht es darum herauszufinden, welche Muster von Erkrankungen häufiger zusammen auftreten. Und lässt sich das über eine gemeinsame Ursache definieren, die vielleicht auch Einsichten gibt, wie man intervenieren kann?

Claudia Langenberg: Ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit ist es, nach Antworten für Patienten zu suchen. Wie viele Patienten wissen eigentlich, wenn sie eine bestimmte Erkrankung bekommen, wie ihre Ein-, Zwei- und Fünfjahresüberlebensrate ist? Meist wissen das nur Krebspatienten. Diese Informationen liegen für viele Erkrankungen überhaupt nicht vor. Ich würde gerne wissen, wenn ich Diabetes habe, was ist denn die nächste Erkrankung, die ich höchstwahrscheinlich bekomme? Das ist ein sehr wichtiger Teil der Arbeit.

Besteht durch Ihre Arbeit auch die Chance, Prävention nicht für einzelne Krankheiten, sondern für verschiedene Krankheiten gleichzeitig anzulegen?

Claudia Langenberg: Es gibt natürlich bei jeder Präventivmaßnahme ein Primärziel, das man hat. Wer abnimmt, möchte zum Beispiel keinen Diabetes bekommen. Man denkt immer an die Erkrankung, die das höchste Risiko hat. Aber was man sich nicht klarmacht, ist, dass man damit eben auch eine ganze Anzahl von anderen Erkrankungen genauso mit vermeidet. Und diesen Mehrwert an Vermeidung von Zusatzerkrankungen, den sieht man ja nicht, wenn man immer nur diese eine nächste Erkrankung im Sinn hat. Und das ist natürlich auch für die Gesundheitspolitik wichtig und auch für Pharmastudien. Sagen wir mal, ich mache eine Bluthochdruck-Studie für eine neue Therapie, um den Schlaganfall zu vermeiden, und ich erfasse gar nicht die anderen positiven Wirkungen, etwa das ebenfalls verminderte Herzinfarktrisiko: Der Benefit, den die Gesellschaft davon hat, dass wir das Medikament entwickeln, der wird ja gar nicht gesehen, wenn ich die anderen Sachen nicht mitberücksichtige. Aber unsere Methoden erlauben es, diesen Benefit für viele Erkrankungen gleichzeitig zu evaluieren und damit ein ganzheitlicheres Bild zu bekommen.

Vielen Dank!