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Interviewpartnerin

Prof. Dr. Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Seniorprofessorin an der Medizinischen Klinik für Endokrinologie und Stoffwechsel der Charité Universitätsmedizin Berlin, Leiterin der AG Biologie des Alterns.

Willkommen zum BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“, dem Podcast aus dem Berlin Institut of Health in der Charité, dem BIH. Wir wollen in diesem Podcast Fragen zur Gesundheit beantworten und gleichzeitig über Aktuelles aus der Gesundheitsforschung berichten. Mein Name ist Stefanie Seltmann.

Heute bin ich zu Gast bei Seniorprofessorin Elisabeth Steinhagen-Thiessen. Sie ist Fachärztin für Innere Medizin an der Charité, und sie interessiert sich besonders für den Fettstoffwechsel, weil er ganz eng mit dem Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängt. Und weil dieses Risiko manchmal schon angeboren ist, untersucht Professorin Steinhagen-Thiessen derzeit schon Neugeborene auf den Fettgehalt in ihrem Blut. Guten Tag, Frau Professor Steinhagen-Thiessen.

Steinhagen-Thiessen: Ja, guten Morgen. Herzlichen Dank für die Einladung. Ja, Fettstoffwechsel – dafür interessiere ich mich natürlich schon seit Langem, das erste Stichwort dafür ist das Cholesterin, eigentlich weiß jeder Bürger schon, dass das ein Blutfett ist, dass das nicht so ganz günstig ist, wenn man davon sehr viel hat usw. und darauf würde ich jetzt gerne eingehen. Aber bevor ich das im Einzelnen tue, nur noch mal so zur Information: Wenn wir von Blutfetten sprechen, dann haben wir es zu tun mit dem Cholesterin, mit den Triglyceriden und den sogenannten Subfraktionen, in denen wir das Gesamt-Cholesterin aufteilen. Und da ist besonders wichtig das schlimme LDL-Cholesterin und als Eselsbrücke sage ich immer zu meinen Patienten: Das ist das schlechte Cholesterin, also das liederliche Cholesterin, nämlich das LDL-Cholesterin. Dann haben wir noch das HDL-Cholesterin, welches in vielen Fällen das gute Cholesterin ist, aber leider auch nicht in allen Fällen. Aber wenn das HDL sehr hoch ist, ist das oft günstig – aber wie gesagt, nicht immer. Und dann, wie gesagt, haben wir noch die Triglyceride, das sind auch Blutfette, aber die haben primär erst mal etwas nur zu tun mit den Kohlenhydraten, weil die Kohlenhydrate – also alles Süße, alles, was schnell bei uns verdaut wird, das wird umgewandelt in das Blutfett Triglyceride. Und so haben wir es eben doch mit sehr unterschiedlichen Blutfetten zu tun.

Seltmann: Frau Steinhagen-Thiessen, es gibt eine erbliche Krankheit, die den Fettstoffwechsel beeinflusst, das ist die sogenannte familiäre Hypercholesterinämie. Was ist das für eine Krankheit?

Steinhagen-Thiessen: Ja, wenn wir ganz genau nachforschen und unsere Patienten immer fragen, die wir haben mit hohem Cholesterin: Hat Ihr Vater, hat Ihre Mutter so etwas schon gehabt, gibt es in Ihrer Familie Menschen, die einen frühzeitigen Schlaganfall oder frühzeitig einen Herzinfarkt, eine koronare Herzerkrankung oder auch einen Stent bekommen haben und sie beantworten dieses positiv, dann kann man schon davon ausgehen, dass hier eine familiäre Belastung, sprich eine familiäre Hypercholesterinämie, weil es das Häufigste ist, vorliegt. Hohes Cholesterin ist nicht gesund, und wenn ich sage: hohes, werden Sie sich gleich fragen, ja, wie hoch darf es denn sein? Und da muss man sagen: Das muss man individuell festlegen. Ein neugeborenes Kind darf kein höheres, jetzt sage ich es gleich fürs LDL-Cholesterin, haben, als 25 mg/Deziliter, das ist sehr, sehr wenig. Mit zunehmendem Erwachsenenalter steigen diese Werte. Und dann noch etwas Besonderes: Wir haben Unterschiede zwischen Männer und Frauen. Wenn wir uns die Frauen angucken nach der Menopause, dann steigt deren Cholesterin noch mal ganz steil an. Und das hat auch wiederum damit zu tun, dass wir vor der Menopause weniger koronare Herzerkrankungen, Herzinfarkt usw. bei Frauen haben. Aber die Frauen holen das nach, in der Regel zehn Jahre später, aber dann sind sie auch zehn Jahre älter und meistens multimorbider, und es erfasst sie dann noch schlimmer. Also: Männer und Frauen haben gleich häufig hohes Cholesterin, nur bei den Frauen nimmt es noch mal deutlich zu, ungefähr nach dem 50. Lebensjahr.

Seltmann: Das hängt dann wahrscheinlich mit den Hormonen zusammen, mit den Östrogenen?

Steinhagen-Thiessen: Ja, das ist völlig richtig, die Östrogene spielen hier eine Rolle als Schutzfaktor, aber natürlich nur bis zur Menopause, und das muss man auch wissen als behandelnder Arzt.

Seltmann: Jetzt haben wir die erbliche Hypercholesterinämie angesprochen. Weiß man denn, was da genau passiert? Wird da einfach mehr Cholesterin produziert, stimmt da was mit den Cholesterinrezeptoren nicht? Was ist denn genau die Krankheitsursache?

Steinhagen-Thiessen: Also: wir haben hohes Cholesterin bei den Patienten, die einen sogenannten Rezeptordefekt haben. Es gibt viele verschiedene und auch noch andere Defekte, aber der häufigste ist der Rezeptordefekt. Und das muss man sich jetzt so vorstellen: Das Cholesterin schwimmt als ein Partikel im Blut herum. Und jetzt ragt da ein Rezeptor einer Zelle hinein und will sich das Cholesterinpartikel greifen. Damit er das greifen kann und an sich binden kann, muss das so funktionieren wie Schlüssel und Schloss. Da passt jede Zacke auf die andere. Wenn aber hier eine Krankheit vorliegt, nämlich die familiäre Hypercholesterinämie, dann ist irgendwo bei diesem Rezeptor eine Aminosäure gegen eine andere ausgetauscht, und das hat die Folge, dass der Schlüssel, den ich hier in das Schloss stecke, an einer Stelle nicht passt, also eine Zacke ist da ein bisschen anders. Das kann man sich vorstellen, wenn man den Sicherheitsschlüssel abends ins Schloss steckt und eine Zacke passt nicht mehr, da kann ich nicht aufschließen. Und das heißt hier für das Cholesterin: Es wird nicht abtransportiert aus der Blutbahn, es verbleibt dort, und es zirkuliert, zirkuliert länger, und bei diesem längeren Zirkulieren wird das Cholesterin verändert. In den meisten Fällen wird es dahingehend verändert, dass es oxidiert wird. Und wir wissen schon lange, dass oxidiertes LDL-Cholesterin der Baustein ist, der Arteriosklerose am Endothel, also an der Gefäßwand, macht. Und wenn Patienten diese Erkrankung haben, und sie haben meinetwegen von 100 Rezeptoren 30, 40 oder auch 20 Prozent falsche Rezeptoren, dann wird in diesem Maße das Cholesterin weniger gebunden, weniger aus der Peripherie, sprich: aus dem Gefäß abgeholt, und wenn wir diesen Patienten Blut abnehmen, was stellen wir fest? Erhöhtes Cholesterin. So einfach ist das.

Seltmann: Und jetzt möchten Sie auf diesen Fehler hin eine große Studie an Neugeborenen durchführen. Wie sieht denn eine solche Untersuchung aus?

Steinhagen-Thiessen: Wir haben bereits 90.000 Blutproben von neugeborenen Kindern, das ist mal das eine, das andere ist, dass wir 61.157 Proben bereits gemessen haben, also das ist schon mal keine kleine Zahl. Jede Frau oder Familie, die ein Kind bekommt, wird gefragt, ob sie bei der Geburt oder um die Geburt herum an einem Neugeborenen-Screening teilnehmen möchte. Und das machen fast alle Eltern, denn hier wird ja untersucht auf seltene Erkrankungen, zum Beispiel gibt es da Stoffwechselerkrankungen, eine heißt zum Beispiel Phenylketonurie und so fort. Und bei diesem Neugeborenen-Screening geht man wie folgt vor: Das Neugeborene bekommt einen kleinen Picks in die Ferse, und dann kommt da ein Tropfen Blut heraus, wie wenn ich mich mit einer Stecknadel oder so steche. Und diese Bluttropfen, die da rauskommen, die fängt man auf auf Löschpapier. Und auf diesem Löschpapier trocknet das Blut, und so habe ich dann ein Papier mit mehreren Tropfen Blut, die da so eingetrocknet sind. Und dieses Blut wird später untersucht für die, inzwischen sind es weit über 12, glaube ich, seltenen Krankheiten bei den Neugeborenen, die wir nachgucken, und in unserem Fall haben wir dann noch das Cholesterin gemessen, auch in diesen Blutproben, und haben nachgeschaut, wie hoch das ist bei den Neugeborenen.

Seltmann: Also ganz kurze Zwischenfrage: So ein Tropfen Blut reicht aus und selbst, wenn es eingetrocknet ist, um da nachträglich noch verschiedene Dinge nachzuweisen?

Steinhagen-Thiessen: Ja, das reicht tatsächlich aus. Theresa Winter, eine Forscherin aus der Universitätsklinik Greifswald, hat diesen Test entwickelt, validiert usw. Das ist nicht eine Arbeit, die in ein, zwei Tagen, wie Sie sich leicht vorstellen können, entstanden ist, sondern das hat schon Zeit gebraucht, aber das ist sehr solide gemacht und entwickelt worden, und wie gesagt auch an großen Patientenzahlen dann validiert worden, sodass dieser Test also wirklich sitzt.

Seltmann: Und jetzt haben Sie schon gesagt mehr als 61.000 Proben haben Sie schon untersucht. Haben Sie denn auch schon Fälle von Hypercholesterinämie gefunden?

Steinhagen-Thiessen: Ja, haben wir natürlich. Man muss sich das ja so vorstellen, dass es nur einige Wenige gibt bei den 61.000, die ein erhöhtes Gesamtcholesterin oder LDL-Cholesterin haben, zum Glück sind es wenige. So. Und jetzt haben wir dort ja vorab schon geregelt, wie das alles mit dem Datenschutz handzuhaben ist, weil zunächst haben wir natürlich nur eine Nummer, und dann gilt es, ein verschlüsseltes Verfahren zu durchlaufen, um dann an die Adressen und Namen der Familien heranzukommen. Und dann haben wir die Adressen, und dann können wir auf die Familien zugehen. Ich rufe sie meistens selbst an und sage ihnen dann am Telefon, dass ihr Kind offenbar hier einen hohen Wert hat. Und damit muss man auch sehr subtil vorgehen, das kann man nicht einfach in einem Brief schreiben und denen in den Postkasten legen, das, finde ich, ist kein guter Umgang, sondern ich bin als Ärztin dann gleich für sie am Telefon da, weil diese Nachricht oder böse Nachrichten zu überbringen ist ja nicht so ganz einfach. Und das geht aber in der Regel wirklich sehr, sehr gut. …

Seltmann: Wie reagieren denn die Eltern, wenn sie das hören?

Steinhagen-Thiessen: Ja, das kann ich Ihnen sagen. Das ist insofern so hochinteressant, weil, wenn wir dann an den Punkt kommen, wo ich frage: Ja, wie alt ist Ihre Mutter, wie alt ist Ihr Vater, hat Ihre Mutter, Ihr Vater oder Ihre Geschwister bereits schon eine koronare Herzerkrankung oder einen Myokardinfarkt oder einen Schlaganfall oder irgend so etwas durchgemacht, da, Sie werden es nicht glauben, dann sagen die zu mir: Ja, bei uns in der Familie sind die alle nicht alt geworden. Oder: ja, mein Vater, der hatte schon mit usw. Und das ist das Erstaunliche für mich, dass diese betroffenen Eltern wissen, dass es in ihrer Familie solche Risiken gibt, aber das ist normal für die, weil es ja so in der Familie ist. Und wenn wir dann etwas weiter ins Gespräch kommen, muss es mir dann eben auch gelingen, dass ich sie darauf aufmerksam mache, dass das nicht das Normale ist, was sie in ihrer Familie erleben, sondern dass das eine Krankheitsursache hat. Und dann verabreden wir uns meistens für ziemlich bald, dass sie dann in unsere Ambulanz in Rostock kommen, da habe ich also eine Lipidambulanz, und da kommen die dann, bringen oft auch ihr kleines Kind schon mit, die dann inzwischen auch schon älter geworden sind, und dann besprechen wir alles Genauere weiter. Aber das ist eben das Tolle an dieser Untersuchung, dass wir nicht nur die betroffenen Kinder rausfischen, sondern die jungen Eltern, und die sind ja alle zwischen 20 und 30 in der Regel, und ich sag Ihnen mal: Die haben ja ganz was anderes im Kopf als hohes Cholesterin, damit beschäftigen die sich gar nicht, sondern die beschäftigen sich mit ihrer Karriere und mit der Tatsache, dass sie vielleicht noch demnächst ein Kind kriegen oder das ist bereits schon unterwegs, und die beschäftigen sich mit ihrem Beruf und all diese Dinge. Die haben alles andere im Kopp, aber nicht das hohe Cholesterin.

Seltmann: Das heißt, wenn Sie feststellen, dass die Neugeborenen ein erhöhtes Cholesterin im Blut haben und auch schon der Großvater am Herzinfarkt gestorben ist, dann ist als Nächstes jetzt mal der Vater oder die Mutter dran, um sich da mal mit zu beschäftigen, denn die haben es ja dann dem Kindchen vererbt.

Steinhagen-Thiessen: Ja, genauso ist es und das vermittle ich natürlich auch diesen Eltern. Und das muss man in der Art und Weise ja machen, dass man sie nicht verschreckt und dass sie nicht mit Angst aus dem Zimmer bei mir gehen, sondern dass sie zuversichtlich da rausgehen und sich freuen, dass wir das entdeckt haben – rechtzeitig genug. Es gibt noch keine Symptome, es gibt noch keine Vorfälle und dass wir hier im wahrsten Sinne des Erfinders präventiv tätig werden können, und das ist doch unsere Aufgabe. Ich bin zwar Ärztin, aber ich erlebe ja täglich, wie wir an diesen Endpunkten herumdoktern, und das ist nicht das Richtige. Wir müssen Prävention machen, aber wir müssen auch den Betroffenen klarmachen, dass es hier tolle Wege gibt, dass es alle Chancen dieser Welt gibt, die wir hier ausnutzen können, dass es erst gar nicht zu diesen Erkrankungen kommt.

Seltmann: Ja, genau darüber wollen wir ja jetzt auch sprechen: Was können denn die betroffenen Eltern zunächst mal selbst für sich, aber vielleicht auch für ihr Neugeborenes tun, um mit diesem hohen Cholesterinwert im Blut umzugehen?

Steinhagen-Thiessen: Ja, sie müssen was für die ganze Familie tun, und ich beauftrage die dann auch immer, dass die bei den Geschwistern der Eltern Blut abnehmen, und ich spreche auch darüber, wie hoch die Werte bei den Einzelnen sein dürfen und, und, und. Ja, was können sie tun? Also erst mal: Gegen meine Genetik, was ich von meinen Eltern mitgekriegt hab, in meinem Fall meine rötlichen Haare und blauen Augen, das kann ich nicht mehr ändern, damit muss ich leben. Aber wir haben heute sehr, sehr gute medikamentöse Möglichkeiten, das zu behandeln. Das ist mal das eine. Und das andere an sogenannten äußeren Faktoren ist der Lebensstil. In diesen Fällen ist es ja meistens, wenn es so familiär bedingt ist, sehr erhöhtes Cholesterin. Das kann ich nicht signifikant ändern durch Lebensstil, aber ich kann es etwas ändern, und eine Krankheit, die ich angeboren, also sprich: mein Leben lang habe, wenn ich die um fünf oder zehn Prozent minimieren kann, das ist über die Dauer meiner Lebensspanne sehr, sehr viel. Deshalb sind diese Register absolut zu ziehen, das heißt, Ernährung, körperliche Bewegung, nicht rauchen und nicht übergewichtig sein. Und das ist schon mal ein ganz schöner Blumenstrauß, wenn man sich hier die Bevölkerung mal anguckt, ne? Rauchen, Übergewicht usw., alles weit verbreitet.

Seltmann: Ernährung, heißt das denn dann nur nicht zu viel Ernährung, damit man nicht übergewichtig wird, oder soll man da auch bestimmte Lebensmittel meiden und andere vielleicht bevorzugen?

Steinhagen-Thiessen: Ja, das ist richtig. Im Jargon sagen wir, dass diese Menschen sich ernähren sollen mit einer mediterranen Diät, aber das würde ich gerne noch weiter spezifizieren an dieser Stelle. Stellen Sie sich vor, die Spree ist randvoll, und wir packen noch oben was drauf, dann geht das Wasser über den Deich. Und so ähnlich ist es ja beim Cholesterin auch, aber trotzdem sollten diese Leute auf bestimmte Dinge einfach auch nicht verzichten, das ist nicht hier das Märchen vom Verzichten, was ich hier predige, sondern sie sollen wissen, in welchen Lebensmitteln extrem viel Cholesterin drin ist, die sollten sie meiden. Das sind zum Beispiel Innereien, Leber, Leberwurst und so weiter. Das sollten diese Menschen meiden. Auf der anderen Seite sollten sie sich viel Gemüse, viel dunkles, grünes Gemüse, was weiß ich, Brokkoli und grünen Salat und so etwas alles zuführen, weil da sind Antioxidantien drin in der Ernährung. Das ist an dieser Stelle sehr wichtig. Und natürlich das Übergewicht, auch wenn es nicht unmittelbar das Cholesterin erhöht, hat aber trotzdem auch auf den Gesamtkörper in dieser Konstellation schon eine schlechte Wirkung, denn über eins müssen wir uns auch im Klaren sein: Diese Menschen, die das Cholesterin hoch haben, haben das von Geburt an als Risikofaktor mit sich, und sie brauchen nicht noch weitere Risikofaktoren wie das Rauchen und wie das Übergewicht. Deshalb ist die Ernährung sehr wichtig, deshalb ist aber auch die körperliche Bewegung so wichtig. Wir wissen, dass wir mit regelmäßiger körperlicher Bewegung, die länger dauern sollte als 20 Minuten, und wenn es geht mindestens dreimal pro Woche … tut auch ein bisschen was am LDL-Cholesterin, so fünf Prozent senkt es, wenn man das alles richtig und ausdauermäßig gut macht. Aber es tut vor allen Dingen auch etwas an der Gesamtrisikokonstellation dieser Person, und deshalb sind diese Dinge wie der Lebensstil wirklich wichtig. Und da habe ich es zu tun mit jungen Familien, die ja noch alles machen können und eigentlich auch in der Regel zu allem aufgeschlossen sind, aber sie müssen jetzt das Bewusstsein dafür erlangen, dass auch in ihrem Alter von 20-30 Jahren das Rauchen eine ganz schlechte Idee ist. Weil, was macht das Rauchen? Das oxidiert das LDL-Cholesterin. Das heißt, wir wissen genau, warum Raucher ein drei- bis fünffach höheres Herz-Kreislauf Risiko haben als Nichtraucher. Dann ist es natürlich auch wichtig, dass ein Kind, was in so einer Familie groß wird, nicht den Vater oder die Mutter als Vorbild hat, dass sie rauchen. Denn wenn das Kind das richtig miterlebt, dass hier ein gesunder Lebensstil ist, das übernimmt das.

Seltmann: Es gibt natürlich diese Lebensstilfaktoren, aber es gibt auch Medikamente, mit denen man den Cholesterinspiegel im Blut beeinflussen kann.

Steinhagen-Thiessen: Ja, es gibt Medikamente, es gibt eine Reihe von Medikamenten und die wichtigste Gruppe unter ihnen sind die Statine. Und die haben, so wie ich das sehe, eine zu Unrecht schlechte Presse, um das mal so auszudrücken. 1987 sind die auf den Markt gekommen. Ich kann Ihnen sagen: Ich habe mich schon vorher mit Fettstoffwechsel befasst, und das war wie eine Revolution, dass wir endlich was in der Hand hatten, was das Cholesterin senken kann. Also: alle Statine wirken, alle Statine wirken, wenn man sie höher dosiert, auch mehr und besser, aber viele oder bei vielen Patienten haben sie Nebenwirkungen, lange nicht bei allen, aber bei vielen. Und eine der wichtigsten Nebenwirkungen der Statine ist, dass es Muskelschmerzen macht, und diese Muskelschmerzen sind dosisabhängig. Es kann sein, dass ein Patient ein Statin nimmt von zehn oder zwanzig Milligramm, und er spürt gar nichts, und man verdoppelt die Dosis auf 20 oder 40 mg, und dann kommt er plötzlich und sagt: Oh, seitdem habe ich massive Muskelschmerzen, besonders wenn ich viel laufe usw. Das stimmt, und das ist für alle Statine der Fall, aber wie gesagt: dosisabhängig. Nun muss man auf der anderen Seite sagen, Muskelschmerzen sind weit verbreitet. Wenn jemand nur Muskelschmerzen im linken Bein oder im rechten Arm hat, dann kommt das natürlich nicht daher. Dann gibt es auch andere Erkrankungen und rheumatische Erkrankungen oder so was wie Arthrose, was natürlich auch mit Schmerzen des Bewegungsapparates verbunden ist und oft nicht so gut trennbar. Also ich sage mal: Muskelschmerzen sind im fontaneschen Sinne ein weites Feld. Und dafür muss ich mich als Ärztin darüber genau informieren, den Patienten genau ausfragen, wann er die hat, in welcher Situation und wo und an welchen Muskelpartien und, und, und, und. So. Dann gibt es Patienten, die haben eine Unverträglichkeit bei einem bestimmten Statin, und wenn man ein zweites oder drittes bei ihnen ausprobiert, können sie das plötzlich vertragen. Das hängt mit den unterschiedlichen Abbauwegen der Statine in unserem Körper zusammen, also es lohnt sich, auch noch ein zweites und ein drittes Statin auszuprobieren. Dann haben wir noch weitere Medikamente, zwei weitere, die nennenswert sind, das ist einmal das Ezetrol, das ist ein Medikament, welches das Cholesterin hemmt an der Aufnahme im oberen Dünndarm. Dieses Medikament wiederum wirkt auch, aber quantitativ meistens nicht so ausreichend. Und wenn man dieses kombiniert mit einem Statin, dann hat es eine deutlich bessere Wirkung. Aber dafür muss der Patient natürlich das Statin vertragen. So. Und das gibt es heute auch schon als Kombinationsmedikament, dass man nur eine Pille nehmen muss, ganz prima. Und jetzt gibt es seit über einem Jahr, glaube ich, ein neues Medikament, das ist die Bempedoinsäure. Dieses Medikament ist insofern ein sehr interessantes Medikament, weil, das Medikament oder die Metabolite davon gehen nicht in die Muskelzelle. Das heißt, da gibt es signifikant weniger Patienten, die Muskelschmerzen haben. Aber für dieses Medikament gilt auch: Es senkt das LDL-Cholesterin, aber oft nicht auf den Zielwert, auf den wir hinarbeiten, also es senkt, aber oft nicht genug, genauso wie das Ezetimib. Das sind eben die beiden Stoffe, die wir noch zusätzlich zur Verfügung haben, die sich aber beide außerordentlich gut kombinieren lassen mit den verschiedenen Statinen. Und so ist auch das stufenweise Vorgehen, dass wir erst mit dem Statin anfangen, dann kommt das Ezetrol, und dann kommt die Bempedoinsäure. So.

Dann haben wir heute zwei Medikamente, die ganz moderne Medikamente sind, die aber eine sogenannte Verordnungseinschränkung haben. Was heißt Verordnungseinschränkung? Das heißt, die darf ich nicht jedem Patienten verschreiben, und der Grund dahinter ist, dass sie extrem teuer sind. Beide Medikamente wirken ganz anders als unsere bisher zur Verfügung stehenden Medikamente.

Seltmann: Und was machen die mit dem Cholesterin?

Steinhagen-Thiessen: Ja, was machen die mit dem Cholesterin? Diese Medikamente setzen ein auf einer Stufe, wo das Cholesterin in unserem Körper synthetisiert wird. Man muss sich das so vorstellen, wie eine Treppe mit verschiedenen Stufen. Wir erklimmen Stufe eins und zwei und da findet genau die Cholesterinbiosynthese statt, und da klinkt sich das Medikament ein als ein Enzym. Die Zelle erkennt das nicht, dass das ein bisschen anders gebaut ist, und so wird die Synthese dadurch geblockt, dass dieses Enzym sozusagen die nächste Stufe, die zu erklimmen geht auf dieser Treppe, hemmt, also auch ein pfiffiger Mechanismus, muss man sagen.

Seltmann: Also es verhindert die körpereigene Synthese des Cholesterins?

Steinhagen-Thiessen: Ja, genau, das passiert da. So. Das ist bisher. Ab heute, wie gesagt, haben wir dann modernere Medikamente, die ganz anders funktionieren. DA haben wir einmal den sogenannten PCSK9-Antikörper. PCSK9 ist ein Enzym, was in unserem Körper, bei allen Menschen vorkommt. Und dieses Enzym, das schwimmt auch als kleines Partikel in unserer Blutbahn herum. Und was macht es? Es geht dorthin, wo der LDL-Rezeptor und das Cholesterin bereits eine Bindung zusammen eingegangen haben und legt sich da so an die Seite bei denen dran. Das kuschelt sich dazu. Und auf die Art und Weise kommt dieses PCSK9-Enzym mit in unsere Leberzelle hinein, die Leber synthetisiert ja bekanntermaßen das meiste Cholesterin. Und dieses Enzym macht aber Folgendes in der Zelle: Es zerstört den LDL-Rezeptor. Es ist ja ein Enzym, es verdaut dieses. Und das ist natürlich für den Menschen ganz schlecht, denn wenn der Mensch weniger LDL-Rezeptoren auf der Zelloberfläche hat, kann er weniger Cholesterin binden. Das heißt, das Cholesterin bleibt wieder vermehrt im Blut. Das wollen wir nicht. Und da haben schlaue Pharmakologen sich gedacht: Ein Enzym, na, das müssen wir doch hinkriegen, da bauen wir mal Antikörper gegen. Gemacht, getan, und so gibt es zwei verschiedene, von zwei unterschiedlichen Firmen auch Antikörper, ich sage Ihnen, die beide gleich gut wirken, und beide sind wirklich, das muss man auch an dieser Stelle mal sagen, extrem gut verträglich. Die Möglichkeit Nummer zwei ist ein Medikament, wie wir sagen, auf Messenger-RNA-Basis. Und das hat man jetzt in Form einer Injektion, also die Patienten werden damit gespritzt, und das gelangt dann sofort in die Leberzelle. Im Zytoplasma erscheint dann diese veränderte, künstlich hergestellte RNA, legt sich an eine RNA, was der Körper selbst hergestellt hat, ran und bei dem Ablesen kommt es natürlich da zu einem Stopp, das heißt, PCSK9 wird weniger hergestellt. Und das ist natürlich für mich als Ärztin wirklich revolutionär. Und was noch viel toller zu erleben ist, ist, dass die Patienten das gut vertragen, dass es keine Nebenwirkungen gibt und dass das Cholesterin noch mal ein weiteres Stück gesenkt wird. Und auch dadurch haben wir jetzt viel, viel, viel mehr Menschen, die wir zielgetreu behandeln können, nämlich auf das individuelle Ziel, was sie erreichen sollen. Und das hat mich so sehr motiviert, dieses Neugeborenen-Screening in Mecklenburg-Vorpommern zu machen. Und ich hoffe, dass wir es bald auch in Berlin durchsetzen können.

Seltmann: Sie haben jetzt von Medikamenten gesprochen, also die Statine nimmt man vermutlich täglich, die moderneren Medikamente einmal pro Woche oder möglicherweise einmal pro Monat. Wie ist das denn bei den Neugeborenen, die Sie identifizieren? Fängt da sofort die Therapie an, schon im Kindesalter?

Steinhagen-Thiessen: Ja, ich sollte vielleicht auch noch etwas sagen zu der Behandlung der Neugeborenen. Grundsätzlich behandeln wir erst ab dem zweiten Lebensjahr Kinder. Es gibt auch sogenannte Guidelines für Kinder, die setzen erst später ein. Was aber überall gleich gemacht wird, mindestens in Europa, da kenne mich ja ganz gut aus, ist, dass wir homozygot betroffene Kinder, also die diese Krankheit gleich zweimal vererbt bekommen haben von Vater und Mutter … Dass wir da so früh wie möglich anfangen. Das ist die Chance für die Kinder, weil wenn diese homozygoten Kinder nicht behandelt werden, dann sterben sie zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr, und das darf man nach heutigen Gesichtspunkten nicht mehr zulassen. Wenn es Kinder sind, die nur heterozygot betroffen sind, dann kann man auch zu einem späteren Zeitpunkt anfangen. Aber diese Kinder, die ich dort rausfische mit einer heterozygoten Erkrankung, also die das von einem Elternteil vererbt bekommen haben, die gehören natürlich in Spezialambulanzen und zu Leuten, die etwas von dieser Erkrankung verstehen, und müssen da wirklich zunächst mal life long gesehen werden, zwar in größeren Zeitabständen, aber mindestens einmal im Jahr, dass man auch das Wachstum alles mitverfolgt usw. und auch den richtigen Zeitpunkt der Therapie dann einsetzt. Aber was natürlich von vornherein schon der Fall ist, dass die Eltern hier auf den Lifestyle achten. Aber ich habe viele Kinder, die wir schon auch im sechsten oder achten Lebensjahr mit Medikamenten behandeln. Und man muss dazu sagen, die Medikamente sind auch dafür zugelassen.

Seltmann: Und wenn jetzt ein Hörer oder eine Hörerin unseren Podcast hört und nicht in Greifswald und nicht in Berlin wohnt, kann man sich auch melden, dass man da teilnehmen möchte an so einer Studie?

Steinhagen-Thiessen: Ja, wir haben jetzt zwei größere Initiativen, einmal die Initiative von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, die etwas Ähnliches wollen ab dem Lebensjahr sechs oder acht eine Vorsorgeuntersuchung, und dann haben wir das Neugeborenen-Screening. Zum Zeitpunkt der Geburt erreichen Sie die Leute alle. Wenn dann die Kinder sechs oder acht sind, und die sollen zur Vorsorgeuntersuchung zum Hausarzt, da erreichst du lange nicht alle. Und ich würde deshalb aufgrund auch meiner Erfahrungen mit dieser Studie, die ich ja nun selbst hier durchgeführt habe, sehr dafür plädieren, dass wir mit den Neugeborenen anfangen, denn dann haben wir auch die vielleicht etwas sozial Schwächeren, die sonst nicht gewillt sind zu Vorsorgeuntersuchungen für Kinder zu gehen usw. usw. Und dann müssen wir natürlich richtig ein Programm aufsetzen, wie wir diese Eltern, wie wir diese Kinder langfristig immer wieder sehen, einbestellen und, und, und, und. Das muss natürlich gemacht werden. Aber ich denke erstens, es ist der Mühe wert, dass diese Kinder nicht erkranken, wenn sie erwachsen sind, und es ist auch nicht nur der Mühe wert, sondern es ist auch finanziell nicht ganz doof, weil wir natürlich viele, viele Kosten im späteren Leben dieser Menschen sparen, wenn es dann erst gar nicht dazu kommt, dass die einen Stent brauchen oder ins Krankenhaus müssen. Das sind unsere Idealvorstellungen von Prävention.

Seltmann: Vielen Dank. Dann wünschen wir Ihnen alles Gute und hoffen, dass es bald weitere Studienzentren geben wird, wo die Neugeborenen auch schon auf ihren Cholesterinwert untersucht werden.

Steinhagen-Thiessen: Ja, das wollen wir doch mal versuchen, dass wir das hinkriegen. Danke schön.

Seltmann: Und das war der BIH-Podcast „Aus Forschung wird Gesundheit“ aus dem Berlin Institute of Health in der Charité, dem BIH. Professorin Elisabeth Steinhagen-Thiessen erklärte, wie man Neugeborene und ihre Eltern vor möglichen Folgen eines hohen Cholesterinspiegels schützen kann. Sie können das Interview auch noch einmal nachlesen auf www.bihealth.org.

Falls auch Sie eine Frage zur Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an podcast@BIH-Charité.de.

Tschüss und bis zum nächsten Mal sagt Stefanie Seltmann.